Auswertung

Themenschwerpunkte

Durch die Zusammenstellung der Fallstudien der Wohnbiografien als Katalog und in Vertiefungen lassen sich einzelne Themen herausstellen und können so für die weitere Bearbeitung geöffnet werden.

Tourismus ist nicht nur ein zentraler Wirtschafts- und Marketingfaktor für Friedrichstadt, sondern findet auch auf vielfältige Art und Weise im tatsächlichen Gebrauch von einzelnen Zimmern, ganzen Häusern bzw. Hausteilen und der städtischen Struktur einen Niederschlag. Damit öffnet sich das Spannungsfeld der Varianz zwischen privaten und gemeinschaftlich genutzten Räumen. Die vielen Besucher*innen in Friedrichstadt, die im Durchschnitt die Stadt täglich um fast ein Drittel anwachsen lassen, sind maßgeblich daran beteiligt, ein städtisches Flair in der kleinen, von seiner Größe und Einwohner*innenzahl her eher dörflichen Stadt zu schaffen. Die Friedrichstädter*innen, die Zimmer, Gästeapartments, Ferienwohnungen oder Hotelzimmer vermieten, handeln dabei mindestens implizit nach einem erweiterten Wohnverständnis, das temporäres Wohnen ins dauerhafte, eigene Wohnen integriert. Auf verschiedenen Maßstäben lassen sich dabei die jeweils unterschiedlichen Ansätze nachvollziehen und aufzeigen, nach denen Räume für den privaten und individuellen Rückzug sowie für den gemeinschaftlichen und öffentlichen Gebrauch aufgeteilt werden. Eine wichtige Erkenntnis ist dabei die Tatsache, dass diese Raumaufteilungen und Raumfunktionen (Eigennutzung vs. Gästeunterbringung) nicht immer und überall fixiert oder rein architektonisch zum Ausdruck gebracht werden, sondern sich den Jahreszeiten und der (Tourismus)Saison anpassen können. Es lassen sich unterschiedliche Grade der Gemeinschaftsnutzung und Privatsphäre finden, die sich jeweils erst im Gebrauch herauskristallisiert haben und sich in Raumprogrammen und der Zu- oder Abschaltung von einzelnen Räumen und Schwellen niederschlagen.

Dass Wohnen und Arbeiten unter einem Dach eine grundlegende städtische Funktion und Möglichkeit ist, zeigt sich in Friedrichstadt in vielfältiger Art und Weise auf allen Maßstabsebenen des Städtischen. Auf der Ebene des Hauses zeigt das Gebäude am Fürstenburgwall von Familie S., dass aufgrund der städtischem Besitzverhältnisse spezifische Regeln für das Objekt greifen. So handelt Familie S. zwischen den Räumen ihres Buchladens, der Keramikwerkstatt und dem Wohnbereich die Schwellen und Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit nicht durch Wände und geschlossene oder offene Türen aus, sondern durch interne Regeln und Absprachen sowie durch eine Kordel, die über die Treppe gespannt werden kann. Dass diese Art der Aushandlung sich nicht auf Bestandsstrukturen und den dadurch vorgefundenen Regelwerken beschränkt, zeigt der Fall von Frau C., ebenfalls am Fürstenburgwall. Wohnhaft zur Miete in der Flachsblumenstraße entwickelt Frau C. in dem Gebäude am Fürstenburgwall anfangs ein Konzept der Beherbergung eines modernen ‚Bed and Breakfast‘, welches ihre eigene Wohnung mit beinhaltet und nimmt damit bereits Begegnungen und Aushandlungen mit den zukünftigen Gästen ihrer Beherbergung in die Planung mit auf. Über die Ebene des Hauses hinaus auf der Ebene des Blocks zeigt Frau F. vom Hotel Klein Amsterdam am Mittelburgwall wie Nutzungserweiterungen auch über mehrere Häuser hinweg umgesetzt werden und dabei verschiedene Nutzungen wie Hotel, Gaststätte, Ladengeschäft und Wohnungen sowie unterschiedliche Eigentums- und Mietformen nebeneinander existieren und von dieser Koexistenz auch profitieren können. Während sich im Fall des Hotels Klein Amsterdam die unterschiedlichen Nutzungen innerhalb der nebeneinander liegenden einzelnen Häuser befinden, zeigt die Fallstudie der Kajüte, dass Zusammenhänge über die Gebäudestruktur hinaus auf der Ebene der Stadt sichtbar werden. Die Kajüte versammelt innerhalb ihres Gebäudes dauerhaftes Wohnen, Gästewohnen und die Kajüte als Restaurant, Bar und Konzertraum. Obwohl die Kajüte mit dem Restaurant und Barbetrieb Frühstück im Haus anbieten könnte, verlagert Familie F. diesen Service dennoch nach außen und vereinbart eine Kooperation mit der in der Stadt ansässigen Bäckerei. Anhand dieser Fallstudie werden die Zusammenhänge der unterschiedlichen Maßstabsebenen Stadt/Block, Block/Haus und Haus/Zimmer noch einmal deutlich. Die gesamte Stadt Friedrichstadt beherbergt die notwendigen Infrastrukturen für dauerhaftes und temporäres Wohnen. Es müssen nicht notwendiger Weise alle dem Wohnen zugeordneten Funktionen in einem Haus versammelt sein. Genauso wenig müssen spezifische Raumprogramme ihre Übersetzung in gebaute Strukturen aufweisen, sondern können über verschiedene Organisationsformen zum Teil sogar ökonomischer, ressourcenschonender und damit nachhaltiger umgesetzt werden. Die Wirtschaftsgemeinschaft kann dabei sowohl auf der Ebene des Hauses als auch auf der Ebene der Stadt und im Weiteren auf der Ebene der Region gedacht werden und eröffnet so deutlich mehr Spielräume und Möglichkeiten.

Nicht immer ist Leerstand negativ konnotiert. Wartende Räume bergen auch Potenziale, wie Frau C. mit ihrer Idee vom modernen ‚Bed and Breakfast‘ zeigt. Hier wird Leerstand zum Potenzial, wenn auch zu einem, das die Banken nicht überzeugen kann. Betrachten wir dagegen Frau K. mit ihrem ‚Hotel Mama‘, wäre mit herkömmlichen Perspektiven wohl kaum vom Leerstand oder auch wartenden Räumen die Rede. Gleichwohl warten auch die fünf Gästezimmer auf ihre fünf bereits erwachsenen Kinder und werden nur während ihrer Besuche von diesen genutzt. Diese temporäre Frequentierung von bereitstehenden Räumen zeigt sich in vielen Fallstudien. Die Räume werden als Gästezimmer bezeichnet: Gästezimmer für die Familie, für Freunde, für Freundes Freunde, für Bekannte. Die Gradierungen von privatem zu kommerziellem Angebot ist fließend und zeigt sich schließlich nicht immer oder in den seltensten Fällen in der gebauten Struktur, sondern in der Organisationsform. So haben Herr und Frau K. an der Westermarkstraße ein Gästezimmer im ausgebauten Dachraum, welches sich ausschließlich durch das eigene Wohnhaus erschließen lässt, während Herr J. und Frau Z. in der Westerhafenstraße eine Gästewohnung mit integriertem Bad aufweisen, die sich über ein eigenständiges Treppenhaus von der Straße aus erschließen lässt. Auch einige Zimmer von Frau K. befinden sich im Erdgeschoss des Hauses, welches zusätzlich eine Küche und ein Bad, sowie den Austritt in den Innenhof beinhaltet. Viele Fallstudien bergen Potenziale die für eine erweiterte Nutzung bereits vollständig angelegt und vorbereitet sind und noch auf die Umsetzung warten.

Mehrgenerationenwohnen spiegelt sich in unterschiedlichen Ausprägungen in den verschiedenen Fallstudien wider. Wohnen in mehreren Generationen unter einem Dach können wir am Beispiel von Frau Z. und Herrn J. in der Westerhafenstraße beobachten. Die Mutter von Frau Z. hat die Wohnung innerhalb des Hauses aber mit eigenem Zugang bezogen, während die darüber liegende Gästewohnung temporär durch Verwandte, Freunde und Bekannte bewohnt wird. Die Apotheke am Markt zeigt Mehrgenerationen im Wohnen und Arbeiten zeitlich und im Block versetzt. Während die Apotheke viele Jahre durch die Eltern von Frau Z. geführt worden ist, konnte Frau Z. sich ihrem Studium auswärts unter anderem in den USA widmen. Mit der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit in der Apotheke des Vaters von Frau Z. wurde der Platz in der Apotheke in Friedrichstadt frei. Als Frau Z. sich mit ihrem Mann und den Kindern entschloss, zurück nach Friedrichstadt zu ziehen und die bereits durch mehrere Generationen geführte Apotheke zu übernehmen, konnten die Eltern von Frau Z. das sich in ihrem Besitz befindende Haus im selben Block am Mittelburgwall beziehen. Dies hatten sie bereits vorsorglich fürs Alter barrierearm bauen lassen und während ihrer Tätigkeit in der Apotheke mehrere Jahre als Ferienhaus vermietet. Dabei wurde das Haus so konstruiert, dass für diese Zeit zwei Ferienhäuser zur Verfügung standen, sich die Mittelwand aber leicht entfernen ließe und die Eltern von Frau Z. nun ein großzügiges Haus für das Älterwerden besitzen. Ähnliches strebt die Familie von Frau Z. nun auch an. Im selben Block entwickeln sie ein Wohnhaus und wollen dabei sowohl von den Älteren als auch von den Jungen lernen. Wenn Friedrichstadt im Rahmen des demographischen Wandels mit der Abwanderung der Jungen kämpft, zeigen einige unserer Fallstudien gleichzeitig eine Rückkehr nach einer Zeit des Lernens, der Bildung und Weiterbildung oder der Arbeitserfahrung außerhalb. Dies wird insbesondere deutlich bei den Fallstudien, die sich im Gewerbebereich etwas aufgebaut haben. Hier geht es um Traditionen, um Wertschätzung des bereits durch die Elterngeneration Erarbeiteten und vielleicht auch um Heimatverbundenheit. So führt Frau F. vom Hotel Klein Amsterdam den Familienbetrieb bestehend aus der Gaststätte weiter und ergänzt diesen durch den nun knapp zwei Jahre alten Hotelbetrieb. Aber auch wenn es ausschließlich ums Wohnen geht, können Familienmitglieder für einige Jahre die Stadt verlassen, um dann zurück zu kommen und sich die vorhandenen Gebäudestrukturen den aktuellen Bedürfnissen anzupassen wie z.B. im Fall von Frau K. am Stadtfeld.

Weiterbauen und Umbauen – oftmals unter Eigenregie und im Selbstbau – machen ein weiteres auffälliges Themenfeld in den Fallstudien aus. Dabei beginnen diese Tätigkeiten im Innenausbau, z.B. wenn Frau K. das Geländer ihres Treppenaufgangs in neuen Farben lackiert. Herr C. erweitert die Tätigkeit des Bauens in den Ausbau von bereits vorhandenen Räumlichkeiten. An der Lohgerberstraße werden dementsprechend ehemalige Stallanlagen und noch nicht ausgebaute Dachböden zu Wohn- und Schlafzimmern, sowie Lagerräumen umgebaut. Doch auch wenn diese räumlichen Ressourcen nicht vorhanden sind, wird z.B. an der Holmertorstraße die ehemalige Gebäudestruktur von Herrn G. nach historischen Plänen im Selbstbau rekonstruiert und dabei in aktuelle ökologische Fragestellung eingebettet und übersetzt. Weiterbauen und Umbauen im Selbstbau zeugen von einer hohen Identifikation mit dem eigenen oder dem gemieteten Objekt einerseits, ist aber andererseits bedingt durch das Vorhandensein von zeitlichen, ökonomischen und räumlichen Kapazitäten. Dennoch bildet sich hierbei das Haus als Projekt und das Wohnen als Praxis ab, wenn aufgrund sich wandelnder Bedürfnisse und Bewohner*innenstruktur innerhalb einer Lebensbiografie (Häußermann/Siebel 2000) die vorhandenen Hausstrukturen dementsprechend durch Weiterbauen und Umbauen angepasst werden.

Des Weiteren lassen sich Nutzungserweiterung und Nutzungsmischung über mehrere Häuser feststellen. Die Fallstudie Hotel Klein Amsterdam zeigt die Potenzialitäten, die der Blockstruktur auf der baulichen Ebene zu Grunde liegen. Die Gaststätte Holländische Stube verteilt sich seit jeher über zwei Häuser, während der Hotelbereich aktuell im Obergeschoss das Nachbargebäude am Stadtfeld mitbenutzt. Hierbei wurde in die Gebäudetrennwand eine Öffnung eingebaut, die aufgrund der geltenden Brandschutzbestimmungen durch eine Brandschutztür gesichert ist. Über ein zweites Treppenhaus, welches sich mit den noch darunterliegenden Wohnungen geteilt wird, ist der Fluchtweg in diesem Teil des Gebäudes gewährleistet. Die Räumlichkeiten des Ladengeschäftes an der Ecke Stadtfeld und Mittelburgwall werden von Frau F. an den Besitzer vermietet. Zukünftig soll hier die Rezeption des Hotels integriert werden. Das Beispiel zeigt, dass durch Aushandlungen und Verhandlungen mit den Nachbar*innen und den Nachbargebäuden die Potenzialitäten der Blockrandstruktur ausgespielt werden können, wenn die Bereitschaft da ist und Verantwortung geteilt wird. Im Fall von Frau C. am Fürstenburgwall wurde die Aushandlung der Nachbarwand zu einer Notwendigkeit, welche sich aktuell durch die beiden Parteien nicht lösen ließ. Festzustellen ist, dass die Problematik der geteilten Wände kein Einzelphänomen einzelner Gebäude ist und damit zum Problem von einzelnen Nutzer*innen wird. Die Stadtstruktur in der Blockrandbebauung beinhaltet diese Struktur und wird durch diese charakterisiert. Das Potenzial der Stadt ist damit gleichzeitig eine Herausforderung, mit der gesamtstädtisch umzugehen ist und die nicht in die Verantwortung Einzelner fallen kann und darf.

Analyse und Szenarien

Ebene Zimmer/Haus, Haus/Block, Block/Stadt: Die in den Fallstudien vorgefundenen Themen und ihre Kontextualisierung auf den verschiedenen, aber zusammenhängenden Maßstabsebenen Zimmer/Haus, Haus/Block und Block/Stadt werden in eine Analyse ausgewählter prototypischer Fallstudien überführt. Darauf aufbauend und daraus abgeleitet werden auf allen drei Maßstabsebenen Szenarien entwickelt, die real existierende Möglichkeiten für zukünftige und bestehende Praktiken der Stadtproduktion und -erneuerung aufzeigen.

Befassen wir uns mit den Erkenntnissen der auf unterschiedlichen Maßstäben vollzogenen Analyse, lassen sich für die drei Maßstabsebenen Szenarien entwickeln, die die Potenziale im Bestand herauszustellen suchen. Szenarien basieren auf empirischen Erkenntnissen und suchen diese dann über die unterschiedlichen Maßstabsebenen zu extrapolieren, um Denkansätze zu erweitern und Möglichkeiten neu auszuloten. Dabei können Probleme und Möglichkeiten immer auf allen oder auf den jeweiligen Maßstabsebenen problematisiert und gedacht werden.

Nachbarschaftliche Aushandlungen finden in unterschiedlichen Gradierungen von enger, privater bis zu städtischer, öffentlicher Aushandlung statt. Wir unterscheiden zwischen den privaten Rückzugsräumen der Zimmer und den geteilten Gemeinschaftsräumen des Zusammenkommens. Dabei steht die Farbe Grün in 100% Sättigung für den privaten Rückzugsbereich des dauerhaften Wohnens, während dieselbe Farbe in 80% Sättigung für den privaten Rückzugsbereich des temporären Wohnens steht. Die Farbe Gelb in 80% Sättigung steht für den gemeinschaftlichen Bereich im dauerhaften Wohnen, während die Farbe Gelb in 100% für den gemeinschaftlichen Bereich im temporären Wohnen steht. Die Gradierungen innerhalb der jeweiligen Kategorien privat und gemeinschaftlich fließen von gemeinschaftlich 100% zu privat 0%. Das bedeutet je intensiver die Farbe Gelb desto gemeinschaftlicher und je intensiver die Farbe Grün desto privater sind die eingefärbten Räume.

Analyse: Ebene Zimmer/Haus

Axonometrien Block. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Ebene Zimmer/Haus: Nachbarschaftliche Aushandlungen finden hier im Haus in und zwischen den Zimmern statt. Beziehen wir uns hierbei noch einmal auf das Haus von Frau K., hält diese fünf Zimmer für ihre Kinder vor. Die Rückzugsbereiche stellen vorwiegend die (Schlaf-)Zimmer dar, während die gemeinschaftlichen Räume die Flure, die Küche und das Wohnzimmer sind. Das Haus besteht aus insgesamt sechs Schlafzimmern, wovon ein Zimmer in doppelter Funktion als Büro genutzt wird. Es gibt eine kleine Küche im Erdgeschoss und eine große Essküche im 1. Obergeschoss. Diese stellt den am stärksten frequentierten Gemeinschaftsbereich dar. Auf das Wohnzimmer wurde in der „klassischen“ Belegung verzichtet, dafür gibt es einen ausgebauten Dachstuhl, der für den privaten Rückzug genutzt wird.

Mittelgrabenstraße

  • Grundrisse (von unten nach oben) Erdgeschoss, 1. Obergeschoss, 2. Obergeschoss. Auf allen Ebenen wird zwischen eher gemeinschaftlich (gelb) und eher privat (grün) genutzten Räumen unterschieden. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Räume (von oben nach unten) (Schlaf-) zimmer; Bäder und Abstellräume; Küchen und Wohnzimmer; Erschließungsräume. Die Grundrisse werden in die einzelnen Räume zerlegt. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Grundrisse. Der Raum des privaten Rückzugs wird hier exemplarisch durch ein Hotelzimmer mit angrenzendem Bad gezeigt, während der Raum der Gemeinschaft durch einen Speisesaal darstellt wird. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Szenario: Ebene Zimmer/Haus: Am Fürstenburgwall

Aus der Analyse der Fallstudie aus der Mittelgrabenstraße ist zu erkennen, dass sich auch in einem privaten Wohnhaus gemeinschaftlich genutzte und private Räume befinden, die unterschiedliche Anforderungen im Gebrauch aufweisen, sich aber räumlich beliebig zusammensetzen lassen. Untersuchen wir die Stadt auf der Ebene Zimmer/Haus innerhalb der erhobenen Fallstudien, ergibt sich ein aktueller Handlungsbedarf am Gebäude von Frau C. am Fürstenburgwall. Wie dort bereits beschrieben, sind die Umbauplanungen von Frau C. aufgrund unterschiedlicher Gegebenheiten gestoppt worden. Auf der ökonomischen Ebene droht die fehlende Finanzierung durch die Bank die Umsetzung zu Erschweren. Gleichzeitig ist die gemeinsame Brandwand zwischen dem Haus von Frau C. und dem angrenzenden Nachbargebäude sanierungsbedürftig. Die geteilte Wand bringt die beiden Nachbar*innen in Verhandlung. Da es sich dabei um keinen Einzelfall in der Stadt handelt, weist die geteilte Wand auf ein strukturelles Thema hin, welches große Teile der Stadt betrifft. Der Einzelfall wird somit zu einer sich regelmäßig wiederholenden Struktur. Aufgrund der geteilten Brandwände hängen die Häuser zusammen und alle in diesem Bereich auftretenen Themen betreffen somit automatisch immer die beiden angrenzenden Parteien gemeinsam. Aufgrund der nun aktuellen Einsturzgefährdung des Hauses von Frau C. besteht hier akuter Handlungsbedarf an und in dem Haus. Gleichzeitig wird damit auch die Nutzung des Nachbargebäudes in Frage gestellt, wobei die Handlungsmöglichkeiten (noch) ungeklärt sind und der gemeinsamen Aushandlung bedarfen. Des Weiteren weist das dritte Haus in der Reihe (aktuell) einen Leerstand auf. Alle drei Häuser können damit Teil einer möglichen Projektentwicklung werden, welche exemplarisch den möglichen Umgang mit der vorhandenen Blockrandbebauung aufzeigen kann. Neben den Erkenntnissen der gemeinschaftlich und privat genutzten Räume, die wir in allen Fallstudien wiederfinden dienen auf der baulichen Ebene insbesondere die Erkenntnisse aus dem Fall Hotel Amsterdam im Sinne eines „learning from“, welches den Umgang von Nutzungen über mehrere Häuser aufzeigt und auf organisatorischer Ebene der Fall der Keramik- und Buchhandlung am Fürstenburgwall, welches sich in städtischem Besitz befindet und seine Räumlichkeiten unter bestimmten Regelwerken vermietet.

Axonometrien der Häuser. Die Zeichnungen zeigen von links nach rechts die Zusammensetzung einzelner (Wohn) Einheiten sowie die Zusammensetzung möglicher Räume, unterschieden nach privater und öffentlicher Nutzung. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Analyse: Ebene Haus/Block

Axonometrien Block. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Ebene Haus/Block: Nachbarschaftliche Aushandlungen finden hier im Block sowohl zwischen den einzelnen Häusern statt als auch innerhalb des Hauses in und zwischen den Zimmern. Beziehen wir uns hierbei zurück auf das Hotel von Frau F. Das Hotel erstreckt sich über insgesamt vier Häuser mit unterschiedlichen Eigentums-, und Mietrechten. Aushandlungen fanden hier bereits zwischen den verschiedenen Eigentümer*innen der Häuser statt und werden potentiell weiter stattfinden. In der aktuellen Nutzung versammelt Frau F. Hotel-, und Gaststättennutzungen und vermietet eine Fläche an ein Ladengeschäft. Im Nachbargebäude an das Hotel angrenzend befinden sich aktuell noch dauerhafte Wohnungen, welche aber zukünftig zur Disposition stehen könnten, sodass sich das Hotel mit den Zimmern erweitern kann.

Am Mittelburgwall

  • Grundrisse (von unten nach oben) Erdgeschoss, 1. Obergeschoss, 2. Obergeschoss, Dach. Auf allen Ebenen wird zwischen eher gemeinschaftlich (gelb) und eher privat (grün) genutzten Räumen unterschieden. Die Zimmer der Wohnungen sind dabei in der gleichen Farbe wie die Zimmer des Hotels. Beide sind Räume des Rückzugs und demnach privat. Dadurch wird deutlich, dass sich die Bedarfe dauerhafter und temporärer Bewohner*innen in der Stadt ähneln bzw. gleichen. Die Abstraktion in der Darstellung unterstützt alternativ über bestehende und neu zu konzeptionierende Nutzungskonzepte nachzudenken. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Räume (von oben nach unten) Zimmer, Bäder der Wohnung; Hotelzimmer mit angrenzendem Bad; gemeinschaftliche Räume wie z.B. Speisesäale; Erschließungsräume; Bäder, Abstellräume und Küchen. Die Grundrisse werden in die einzelnen Räume zerlegt. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Der Raum des privaten Rückzugs wird hier exemplarisch durch ein Hotelzimmer mit angrenzendem Bad gezeigt, während der Raum der Gemeinschaft durch einen Speisesaal darstellt wird. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Szenario: Ebene Haus/ Block. Quartiersentwicklung an der Kirche

Axonometrie eines Blocks. Unterschiedliche Nutzungen können sich über mehrere Häuser oder innerhalb eines Blocks verteilen. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Aus der Analyse der Fallstudie des Hotels Klein Amsterdam am Mittelburgwall ist zu erkennen, dass sich unterschiedliche Nutzungen über mehrere Häuser erstrecken können. Auch hier lassen sich die beiden Kategorien privater und gemeinschaftlicher Räume in allen Nutzungen vom Ladengeschäft über das Wohnhaus, das Hotel und das Restaurant nachweisen. Das Hotel Amsterdam zeigt uns in der Praxis, wie dies bereits nicht nur in einem Haus, sondern über vier Häuser hinweg umgesetzt ist, die teilweise miteinander verbunden sind, aber auch separat funktionieren. Aus Gesprächen wissen wir, dass eine Quartiersentwicklung an der Kirche am Mittelburgwall potenziell zu entwickeln wäre. Begreifen wir dabei die bereits umgesetzten Praktiken von Frau F. aus dem Hotel Klein Amsterdam im sinne eines „learning from“ und extrapolieren diese über den gesamten Block an der Kirche, können Nachverdichtungen sowohl in Bestandsstrukturen als auch in Neubauten gedacht werden. Gleichzeitig bedarf es nicht unbedingt räumlicher Abgeschlossenheit einer baulichen Einheit eines Hauses So bekommen etwa im Fall des Hotels Klein Amsterdam die Gäste den Zimmerschlüssel an der Rezeption im Restaurant des Holsteinischen Haus, verlassen dieses wieder, um dann im Nachbarhaus ihr Hotelzimmer vorzufinden. Übertragen wir dies auf die Maßstabsebene Block, können sich diese Nutzungen auch über zwei, drei, vier oder mehr Häuser erstrecken.

Analyse: Ebene Block/Stadt

Axonometrien Block. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Ebene Block/Stadt: Nachbarschaftliche Aushandlungen finden hier zwischen den Blöcken und über die Stadt verteilt statt. Verfolgen wir das Prinzip der Unterscheidung zwischen privaten Rückzugsräumen der Zimmer und der gemeinschaftlichen Räume des Zusammenkommens, können diese unter der Ebene Stadt neu versammelt und verschaltet werden. So kann der Rückzugsbereich des Zimmers in einem Haus der Stadt liegen, während das Frühstück in einem gemeinschaftlichen Raum in einem anderen Haus in einem anderen Block der Stadt verortet sein kann. Beziehen wir uns dabei wieder auf unsere Fallstudien zurück, liegen diese Praktiken bereits im Bestand vor. Die Kajüte bietet ein Zimmer mit Bad an, aber kein Frühstück. Dafür geht sie eine Kooperation mit der Bäckerei der Stadt ein. Mit den an die Gäste verteilten Gutscheinen gibt es so direkt um die Ecke auch ein Frühstück als Teil des Übernachtungsangebots. Ein Hotel kann über mehrere Häuser innerhalb eines Blocks gedacht werden wie das Hotel Klein Amsterdam, aber auch über nicht unmittelbar benachbarte Häuser (Referenz: Hotel Wedina, Hamburg). Es handelt sich dabei oftmals um organisatorische Aushandlungen wie Kooperationen zu bestimmten Bedingungen und Konditionen.

Holmertorstraße

  • Verortung. In der Stadt lassen sich unterschiedliche private, gemeinschaftliche und öffentliche Bereiche und Nutzungen lokalisieren. © GeoBasis-DE/LVermGeo SH; Friedrichstadt – eine Zusammenarbeit mit dem Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design Hafencity Universität Hamburg im Rahmen des Wettbewerbs Zukunftsstadt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF); Original berabeitet durch das Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Grundriss. Die Kajüte weist ausschließlich ein Gästezimmer mit angrenzendem Bad auf. Die Zeichnungen basieren auf Bestandsplänen aus dem Stadtarchiv Friedrichstadt. Sie zeigen einen Planungsstand zu einem bestimmten Zeitpunkt und somit nicht unbedingt den heutigen gebauten Stand. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Grundriss. Das Frühstück wird in der Bäckerei am Markt eingenommen. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Grundriss. Der Gastraum der Kajüte funktioniert als verlängertes Wohnzimmer in der Stadt. Die Zeichnungen basieren auf Bestandsplänen aus dem Stadtarchiv Friedrichstadt. Sie zeigen einen Planungsstand zu einem bestimmten Zeitpunkt und somit nicht unbedingt den heutigen gebauten Stand. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Grundriss. Der jeden Freitag statt findende Markt auf dem Platz vor dem Rathaus dient dem Einkauf, aber vor allem auch als Treffpunkt aller Bewohner*innen der Stadt. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Grundriss. Der Kanuverleih als Treffpunkt von temporären sowie dauerhaften Bewohner*innen der Stadt. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Grundriss. Speisesäale z.B. des Hotel Klein Amsterdam oder weitere Restaurants- und Cafénutzungen können als temporär ausgelagerte gemeinschaftliche „Wohnzimmer“ sowohl für temporäre als auch dauerhafte Bewohner*innen der Stadt gedacht und gelebt werden. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Szenario: Ebene Stadt. Horizontales Hotel

Axonometrie der Blöcke. Bei dem Konzept des horizontalen Hotels verteilen sich sowohl private und gemeinschaftliche Einheiten als auch private und gemeinschaftliche Räume und Zimmer über die gesamte Stadt. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Aus der Analyse der Fallstudie Kajüte und Bäckerei lassen sich alle Maßstabsebenen vom Zimmer über das Haus auf die Stadt einbinden. Das Gästezimmer der Kajüte besteht ausschließlich aus Schlafzimmer und Bad, das Abendessen kann im Haus in der Gaststätte der Kajüte eingenommen, das Frühstück aber wird in die Bäckerei in die Stadt verlagert. Was wir hier im Bestand bzw. in der Alltagspraxis einiger Friedrichstädter*innen finden, wird in Italien bereits seit 1982 unter dem Begriff des Albergo Diffuso (das verstreute Hotel) gelebt und explizit zur Rettung von bereits völlig entleerten oder von massivem Wegzug bedrohten Kleinstädten und Dörfern eingesetzt. Das Prinzip des Hotels nutzt die oftmals flächenmäßig kleinen Bestandsstrukturen der Häuser für die privaten Rückzugsräume die Schlafzimmer. Zusätzliche Nutzungen werden entweder in Nachbargebäude und in andere Gebäude der Stadt verlegt und insbesondere durch Partnerschaften und Kooperationen mit der lokalen Gastronomie und den Dienstleistern im Gastronomiebereich ergänzt. So werden Bewohner*innen, die ein Zimmer vermieten oder z.B. Frühstück anbieten, zu Teilhaber*innen des verstreuten Hotels. Durch die Nutzung von Bestandsgebäuden müssen keine Flächen für Neubauten ausgewiesen oder alte Strukturen abgerissen werden, um ein neues Hotel zu bauen. Die vorhandenen Strukturen werden durch das Bewohnen genutzt und aufgewertet. Dem Komfort „alles unter einem (Haus-)Dach“ anzubieten steht hierbei dem Angebot über die ganze Stadt hinweg gegenüber. Kurzzeitbewohner*innen werden hier zu Bewohner*innen der Stadt. Die Räume der Begegnungen zwischen dauerhaft Wohnenden und denen der Gäste multiplizieren sich, wenn die Räume des Gemeinsamen stärker frequentiert werden. Das verstreute Hotel wird regional, national und international diskutiert als zukunftsweisende Strategie für den Umgang mit demographischem Wandel, der Alterung der Gesellschaft und der Stadt-Land-Wanderungen (vgl. Confalonieri 2011; Avram et al. 2012; Vallone et al. 2013). Das horizontale Hotel beschreibt eine Projektentwicklung, die auf die baulichen und organisatorischen Bestandsstrukturen zurückgreift und diese zu nutzen weiß. Es geht von dem kleinstmöglichen Eingriff zum größtmöglichen Nutzen für Viele aus.

Ausgehend von der Strategie der Dezentralität lässt sich das Konzept über den Tourismus hinaus in andere Themenfelder übersetzen. So kann beispielsweise Altenwohnen in mehreren Häusern über die Stadt gedacht werden und über einen Pflegedienst, der zu den Bewohner*innen zu einem „Altenwohnheim“ fährt, verknüpft werden. Zusätzliche benötigte Nutzungen wie der Speisesaal können durch ein erweitertes Angebot über die hoteleigenen Restaurants gedacht werden (bspw. die Speisesäle der Hotels Klein Amsterdam und Aquariums, welche eher temporär und saisonal genutzt werden).