Feuchte Wand

Autoren:
Lukasz Lendzinski, Peter Weigand, Jan Holtmann
Julia Heuer, Mateusz Lendzinski, Alper Berger Kazokoglu

Das Projekt wurde vom Büro „Umschichten“ in Zusammenarbeit mit der „Universität der Nachbarschaften“ und dem „Kunst und Sportverein“ im Jahr 2010 realisiert. Neben einer Beschreibung der Installation und des Bauprozesses wird thematisiert, was es
bedeutet mit Angst und Liebe im urbanen Raum zu arbeiten und wie das Projektteam im Bauprozess auf Simmels Theorie zum „Wesen der Blasiertheit“ stieß.


Es war beschlossene Sache. Die Universität der Nachbarschaften wurde im Jahre 2010 zur Kommandozenzentrale eines Fußballturniers mit offenem Format und ungewissem Ausgang. Veranstalter war neben der UdN ein Studententeam aus dem Studiengang Urban Design und der “Kunst und Sportverein”. Während die Planungen am Turnier auf Hochtouren liefen, wurde das Stuttgarter Architekturstudio “Umschichten” mit dem Bau eines essenziellen Bestandteils eines jeden Fußballevents beauftragt: Dem Bau einer Umkleide. Da es sich jedoch weder um einen normalen Sportverein und ein konventionelles Fußballturnier noch um ein häuserbauendes Architekturstudio handelte, konnte das Resultat der Anfrage keine handelsübliche Umkleide werden. „Dinge, die für die Ewigkeit geplant werden unterliegen dem Krampf des Perfektionismus und bremsen ein akutes Handeln. Dies führt zu mangelnden Erfolgserlebnissen, mangelnden Glücksgefühlen und manchmal auch zu Traurigkeit in einer Stadt.

Konstellation von Mensch, Maschine und Material

Eine Sporthalle in der Nähe der UdN stand kurz vor dem Abriss und wurde nach einigem Hin und Her als Materialpool für den Bau der Umkleide zur Verfügung gestellt. Hohe Decke, glänzende Glasfassade und großflächiges Parkett. Eine 150m2 große Schatztruhe für baubegeisterte Wiederverwertungsromantiker – möge man meinen. Was lässt sich jedoch mit acht Händen, drei Akkuschraubern und einem Brecheisen an einem Nachmittag umschichten? Das Angebot verdichtete sich auf das Mögliche und offenbarte den Ausgangspunkt des Bauvorhabens.

Im Bauprozess auf den Spuren Simmels

Nachdem das Material gesichert wurde, sollte es um die Projektkonkretisierung gehen. Zur Erarbeitung eines Konzeptes für die Installation wurden die Gegebenheiten abgesteckt: Das Material, das Thema und der Kontext. Während erstere Faktoren klar waren, lag die Aufgabe zu Beginn darin, den Kontext, also den Garten der UdN, zu erfassen. Wie ist die Bodenbeschaffenheit? Wie lässt sich die öffentliche Bewegung an anliegenden Gehwegen und Straßen charakterisieren? Wie lassen sich lokale Gegebenheiten wie Bäume oder das Gebäude nutzen? Ausgehend vom Thema, dem Bau einer Umkleide, flossen diese Fragen im Designprozess ein und äußerten sich z.B. in der Positionierung, der Ästhetik und in der Funktionalität der Umkleide und der erarbeiteten Gadgets.
Auf einen detaillierten Masterplan wurde bewusst verzichtet, da das Bauteam für die Lokalität, das Material und die Intention des Projekts auch während des Bauprozesses empfänglich sein wollte. Ein ergebnisoffener Ansatz ermöglichte dynamisches Reagieren. Die Design- & Bauphase dauerte fünf Tage mit einer Arbeitszeit von acht bis zehn Stunden täglich. Die Arbeitszeit setzte sich zu einem großen Teil aus der handwerklichen Umsetzung zusammen, wurde jedoch vor allem während der ersten drei Tage durch punktuelle, aber teilweise sehr intensive Brainstormings, Besprechungsphasen und Gesprächen mit Anwohnern ergänzt. Im Gespräch mit Anwohnern wurde vor allem deutlich, dass der Gehweg, der an der UdN vorbeiführt, ein Durchgangsort für viele Bewohner der Nachbarschaft darstellt. Der Weg zur Arbeit oder zur Schule wurde von vielen hier zur Routine und der Ort somit zu einem Durchgangsort an dem Passanten in einem schlafwandelähnlichen Zustand den Bezug zu ihrer Umgebung scheinbar verloren haben. Es offenbarte sich eine erste Spur zum „Wesen der Blasiertheit“, die auch darin deutlich wurde, dass das müßige Rumhantieren mit Sporthallentoren und -Türen auf dem Gelände der UdN von vorbeigehenden Passanten annährend auf keinerlei Beachtung stieß.
Der ergebnisoffene Ansatz des Vorhabens erlaubte es, auf diese Gegebenheit zu reagieren. Die „Feuchte Wand“, die zunächst lediglich als Sinnbild einer Dusche konzipiert war, wurde am Grundstücksende nahe des angrenzenden Gehwegs positioniert, um auf die lokale Gegebenheit des Durchgangsortes zu reagieren. Die Frage war, wie dem „Wesen der Blasiertheit“ zu begegnen ist. Der Wassernebel wurde auf den Gehweg ausgerichtet und war so dezent, dass er auf den ersten Blick nicht auffiel. Dies führte dazu, dass Menschen, die in ihrer unachtsamen Routine den Gehweg nutzten, sich plötzlich in einem feuchten Wassernebel befanden. Oftmals schockiert, fast wie aus dem Schlaf gerissen, fingen die Passanten an sich zu fragen, was mit ihrer „gewöhnlichen“ Umgebung passiert war. Ein Bruch mit der alltäglichen Routine durch Wasser auf der Haut.
Es zeigte sich, wie man mit den Werkzeugen der Ergebnisoffenheit und dem bewussten Umgang mit den Faktoren Mensch, Maschine und Material auf das Thema eines Ortes in Form einer temporären Architektur eingehen kann. Die Theorie Simmels war dabei weniger Grundlage, da sie vor und während dem Bauprozess nicht thematisiert wurde, sondern offenbarte sich vielmehr im Anwohnergespräch. Erst im darauffolgenden Reflektionsprozess wurde die Nähe zur Theorie deutlich und lieferte eine mögliche Erklärung für den Effekt, den die Installation auf die Passanten hatte.

Eine Umkleide mit feuchter Dusche

Perspektive Fußballturnier: Am 13.06.2010 wurde eine Umkleide mit feuchter Dusche eröffnet. Vier waagerecht aneinandergereihte Sporthallentore bildeten ein längliches Podest. Am Kopfende des Podests befand sich ein senkrecht stehendes Tor, bei dem die Holzlamellen aufgeklappt wurden und dadurch das Tor halbtransparent erscheinen ließen. Die Räume zwischen den aufgeklappten Holzlammellen wurden mit einem Sprühschlauch gefüllt, der durch viele winzige Öffnungen einen Sprühnebel aus Wasser erzeugte. Die feuchte Dusche wurde von den Teilnehmern des Fußballturniers genutzt, um sich zu erfrischen und zu waschen.
Aus sieben bunten Türen wurden vier Umkleidegadgets gebaut. Ein “Sitting Bull” – Sitzen auf hohem Niveau. Eine “kantige Liege” – Erholung mit Aufpreis. Zwei “Offene Umkleiden” – Sexismus für alle.

Eine feuchte Wand mit Umkleide

Perspektive Nachbarschaft: Am 13.06.2010 wurde eine feuchte Wand mit Umkleide eröffnet.Vier waagerecht aneinandergereihte Sporthallentore bildeten ein längliches Podest. Am Kopfende des Podests befand sich ein senkrecht stehendes Tor, bei dem die Holzlamellen aufgeklappt wurden und dadurch das Tor halbtransparent erscheinen ließen. Die Räume zwischen den aufgeklappten Holzlammellen wurden mit einem Sprühschlauch gefüllt, der durch viele winzige Öffnungen einen Sprühnebel aus Wasser erzeugte. Der Wassernebel rief sowohl Irritation als auch Begeisterung bei den Passanten hervor.
Aus 7 bunten Türen wurden vier Umkleidegadgets gebaut. Ein “Sitting Bull” – “Soll das ein Stuhl sein?” Eine “eckige Liege” – “Ich glaub’, das ist zum Liegen.” Zwei “offene Umkleiden” – “Sieht aus wie bei Herzblatt.”

Die Rolle der UdN

Die Universität der Nachbarschaften nahm im Rahmen der Arbeit an der Installation zwei entscheidene Rollen an. Die UdN als Schlüssel zum Lokalen: Die essenzielle Frage zu Beginn der Arbeit am Projekt war die Frage nach geeignetem Material. Da die Arbeitsweise des Studios „umschichten“ darauf beruht, lokale Materialpotenziale durch Umnutzung oder Wiederverwertung zu aktivieren, galt es solche Materialpotenziale in der Nachbarschaft in Erfahrung zu bringen. Zu dieser Zeit gab es bereits einige Akteure, die im Rahmen verschiedener Projekte an der UdN beteiligt waren und dadurch einen Einblick in die Abläufe der Nachbarschaft erlangen konnten. Durch dieses Wissen war es möglich, die naheliegende Sporthalle als Materialpool zu identifizieren, da diese kurz vor dem Abriss stand. Zusätzlich profitierte das Projektteam von der Erfahrung der UdN-Akteure, die sich z.B. in Hinweisen über die akute Diebstahlgefahr oder die öffentliche Bewegung am Gehweg gezeigt hat. Die UdN als Material- und Raumressource: Neben dem Material aus der Sporthalle bedurfte es beim Bau der Installation weiterer Materialien und Werkzeuge. Diesem Bedarf kam zu Gute, dass sich während der Bauphase Restmaterialien und nicht genutztes Werkzeug in den Räumen der UdN befand, welche nach Absprache für den Bau der Installation verwendet werden konnten. Zudem dienten die Räumlichkeiten der UdN als Wertsachenlager und der Garten als Fläche für den Bau der Installation. Zusätzlich ist anzumerken, dass der experimentelle und improvisierte Grundcha- rakter der UdN, der sich sowohl im Kontakt mit involvierten Akteuren als auch in der baulichen Ästhetik des Ortes widerspiegelt, zum Design der Installation beigetragen hat.