Ich und die UdN

Autor:
Adrian Judt
Studierender Urban Design

2006
Das erste Mal nach Wilhelmsburg - genauer gesagt ins Reiherstiegviertel - kam ich bereits 2006. Zu Beginn meines Studiums an der HafenCity Universität, damals noch am Standort TU Harburg, wohnte ich ein gutes halbes Jahr auf der Elbinsel, allerdings weniger auf meinen Wunsch. Dieser Umstand war vielmehr den Bedingungen des Hamburger Wohnungsmarkts geschuldet. Da keiner meiner Freunde hier in der Umgebung wohnte, beschränkten sich meine Aktivitäten vor Ort nur auf das Stillen von Grundbedürfnissen wie Einkaufen oder den Weg zur nächsten Bushaltestelle. Aufgrund dieser nicht nur räumlich, sondern auch für mich persönlich sozial isolierten Lage war ich dann nach sechs Monaten froh, im Norden Hamburgs eine Wohnung gefunden zu haben, und verließ Wilhelmsburg.

2010
Vier Jahre später: Im Zuge meines Masterstudiums fand eine Pflichtveranstaltungen in der frisch instandgesetzten Universität der Nachbarschaften statt. Die weniger positiven Emotionen, die damit verbunden waren, den langen und in schlechter Erinnerung gebliebenen Weg nach Wilhelmsburg zurückzulegen - und das nur für ein Seminar - färbten sich auch auf die UdN ab. Dieser Ort war somit für mich nicht viel mehr als ein beliebiges, halbfertiges Universitätsgebäude auf der anderen Seite Hamburgs. Eine kalte, im Rohbau befindliche Hülle, in der man vorlesungsplanbedingt an einer Lehrveranstaltung teilnehmen musste.

2011
Mit dem Beginn eines Forschungsprojektes begann dann jedoch ein langsamer Wandel. In einem Projekt mit meinen Kommilitoninnen Lene Benz, Katharina Böttger und Kathrin Dröppelmann beschäftigten wir uns mit den „Lieblingsorten“ der Bewohner Wilhelmsburgs. Dazu führten wir zahlreiche Interviews mit Passanten und Bekannten aus Wilhelmsburg, die uns über ihren persönlichen Lieblingsort berichteten. Nachdem wir die Interviews geführt und ausgewertet hatten, machten wir uns auf die Suche nach diesen Orten, um dort unsere Eindrücke in Skizzen festzuhalten. Im Rahmen dieses Projekt lernten wir sehr viel über die unterschiedlichen Bewohner Wilhelmsburgs und über ihre Eindrücke und Wahrnehmung der Elbinsel. Durch die daraus resultierenden (Wege)Beziehungen wurde die UdN für uns zur zentralen Basis, von der aus wir unsere Forschungsgänge organisierten und unser Material bearbeiteten. In der praktische Ausführung war dies natürlich damit verbunden, dass wir uns im Forschungsteam für das Arbeiten in der UdN verabredeten. Somit kamen wir auf Eigeninitiative an die UdN, und wurden nicht „lehrplanmäßig“ dazu gezwungen. Am wichtigsten waren dabei allerdings die vielen kleinen, alltäglichen Dinge wie das Zubereiten von Kaffee, das Einkaufen und das gemeinsame Kochen in der UdN. Erst durch solche an sich banalen Alltagshandlungen entwickelte sich ein erster persönlicher Bezug zur UdN.

2012
Mit der Rückkehr von einem Auslandssemester kam ich nicht nur zurück nach Hamburg, sondern auch wieder zurück zur UdN und in das Reiherstiegviertel. Dort nahm ich teil am „Wilhelmsburg Orchestra“, einem Seminar als Improvisationsorchester aus Studierenden. Die UdN diente hierbei als Proberaum, von wo aus verschiedene Gigs im öffentlichen Raum wie dem Stübenplatz oder in einem Waschcenter in der Georg-Wilhelmsstraße gespielt wurden. Nur durch die aktive Teilhabe bzw. Teilnahme an der UdN erkennt man das ihr immanente Potential, dass die UdN zu etwas Außergewöhnlichem macht. Nach dem Motto „von nichts kommt nichts“ müssen sich die jeweiligen Akteure auf ihre Umgebung einlassen und aus dem Prozess heraus eine Gestaltung entwickeln.
Im Sommer 2012 intensivierte sich dann mein Bezug zur und noch einmal. Durch das Baucamp des IKP-Seminars Baumhäuser war die UdN nicht mehr nur Stützpunkt für Feldforschungen und Interventionen in Wilhelmsburg, sondern das Gebäude selbst wurde zum Bestandteil des Projektes. Mit der „heißen“ Organisationsphase im Vorfeld wurde die UdN zum Organisationsbüro und Materiallager. In dem darauf folgenden Sommer-Baucamp realisierten wir mit Kindern aus Wilhelmsburg und Studierenden der HafenCity Universität sowie internationalen Gästen verschiedene Baumhäuser im Rotenhäuser Park und auf dem Grundstück der UdN. Dabei wurden die Räumlichkeiten immer wieder als Werkstätten und für Bastel-Workshops temporär umgenutzt. Die Arbeit in und mit dem Gebäude der UdN fand von morgens bis abends statt, sodass meine eigentliche Wohnung nur noch als Schlafstätte genutzt wurde und das Leben während dieser Zeit gänzlich an der UdN stattfand. Durch diese extreme Inanspruchnahme des Gebäudes zeigten sich viele Qualitäten, die zuvor nicht wirklich von Bedeutung gewesen waren. Insbesondere durch das Öffnen der großen Fensterfronten zum Park wurde das Gebäude zu einem durchlässigen Körper, der durch die zahlreichen Aktivitäten und Bewegungen in und um das Gebäude mit seinem Umfeld verschmolz. Durch diese Fülle an Aktivitäten und die große Offenheit des Gebäudes kam ich auch öfters beiläufig mit Passanten in Kontakt, die das Gebäude von früher kannten und nun interessiert daran waren, was hier geschah. Ein weiter Schritt folge kurze Zeit später durch meine Teilnahme an dem internationalen Forschungsworkshop „Neighborhoods“. Für zehn Tage wohnte und arbeitete ich zusammen mit 20 Gastforschern aus Europa und Ägypten in der UdN, von wo aus wir unsere unsere Forschung auf der Veddel koordinierten. Auch wenn die Phase des Wohnens an der UdN sehr kurz war, hinterließ sie doch einen erheblichen Eindruck. Das Gebäude wurde gemeinschaftlich genutzt, nicht nur als Arbeitsplatz, sondern als wirklichen Lebensraum, der durch die alltäglichen Abläufe eine gänzlich andere Wahrnehmung generiert. Die UdN - mein Zuhause, zumindest für zehn Tage und zehn Nächte. Hinzu kam, dass jeden Tag Kinder an die UdN kamen, um in den von uns gemeinsam mit den Kindern gebauten Baumhäusern zu spielen. Man wurde auch weiterhin von den Eltern der Kinder gegrüßt. Das Gefühl von bekannter Nachbarschaft verstärkte sich.

2013
Den vorläufigen Höhepunkt in meinem Wirken an der UdN ist für mich die Mitarbeit an dem Projekt „Hotel Wilhelmsburg“. In den mehrwöchigen Bauworkshops gingen wir noch einen Schritt weiter als im Sommer-Baucamp des Projektes Baumhäuser: Wir begannen mit der Transformation der bestehenden Gebäudestruktur. Die Beschaffung der Baumaterialien erforderte weiterhin einen intensiven Umgang mit ganz unterschiedlichen Akteuren in Wilhelmsburg und verstärkte den Kontakt mit den Menschen aus dem Viertel. Hinzu kam die kontinuierlich gestiegene Intensität der Nutzungen in der UdN durch die dort wohnenden Künstler, Praktikanten und Projektbetreuer, sodass sich die UdN zu einem offenen und kommunikativen Raum entwickelt hat, der sich in einem noch nicht beendeten Entwicklungsprozess befindet. Wie Benjamin Becker einmal treffend formulierte, folgt die Performance des Gebäudes dem Programm der Nutzungen. Die UdN ist kein Universitätsgebäude mehr, sie ist sogar mehr als ein Treffpunkt geworden. Für mich wurde die UdN zu einem Prozess, den ich aktive mit gestalte. Insbesondere durch Projekte wie das Restaurant und das Hotel wurde für mich die UdN zu einem Treffpunkt außerhalb der regulären Hochschulveranstaltungen. Die UdN wurde für mich zu einem Treffpunkt zum Bauen, zum Diskutieren, um Menschen und Kulturen kennen zu lernen, zu einem Raum der Möglichkeiten. Durch meine vorangegangenen Erfahrungen mit der UdN hat sich mein Verständnis und mein Umgang in und mit der UdN soweit geändert, dass ein Besuch in der UdN immer mehr zu einer Art „Besuch bei Freunden“ wurde. Ich würde sogar soweit gehen, mich selbst als Teil der UdN zu verstehen. Aus meiner ehemals eher negativ geprägten Haltung entwickelte sich ein persönlicher Bezug, der sich über die unterschiedlichen Formate hin immer wieder wandelte und die UdN für mich zu einer Institution werden lies.

2014
Auch der abschließende Teil meines Studiums, die Masterthesis, beschäftigte sich mit der UdN. In einer gemeinschaftlichen Arbeit mit Maja Momic, einer Architekturstudentin aus Venedig, entwarfen wir ein Konzept für die Folgebebauung nach dem Ende der UdN. Im Sinne des „embedded research“ sowie Aktionsforschung arbeiteten wir die besonderen Eigenschaften der UdN heraus und überführten diese in ein Gebäudekonzept für eine Neubebauung. Basierend auf dem Verständnis des relationalen Raumes (Löw) entwickelten wir somit ein Case Study Gebäude, welches eine neue Form des sozialen Wohnungsbaus in den Diskurs des Urbanen Wohnens bringt. Inhaltliche Schwerpunkte dieser Thesis liegen auf Ermöglichungsarchitektur sowie gemeinschaftliches Wohnen oder auch kostengünstige Bauformen und insbesondere partizipative Strategien und Raumaneignung.
Somit hat sich am Ende meines Studiums noch einmal die Möglichkeit ergeben, mich intensiv mit der UdN zu beschäftigen und eine eigenständige Reflexion dieses Raumes für mich und meine zukünftige Arbeit(sweise) vorzunehmen.

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Autorin:
Maja Momic
Praktikantin & Studentische Mitarbeiterin Universität der Nachbarschaften & UdN-Bewohnerin

In the end of January 2013, I came to Hamburg or for that matter to Germany for the first time with the intention to complete my three-month long internship at the University of the Neighbourhoods, go back to Italy by May and conclude my Master in Architecture. At least that was the plan. Later on, I learned to rely less on planning and predetermined objectives. Instead I acknowledged how great things can thrive out of the process and its performance.

January 2013
Two girls came to pick me up at the main station with a bizarre vehicle - a run-down yellow VW Bulli with an extremely loud tune. One of them had to sit at the back on top of some exhibition panels as I was kindly offered the front seat. Our first stop was a gas station, where we were put to mockery by accidental passers-by as three stupid women who were incapable of closing the gas tank. Thank you, bulli! After winning the fight with the bulli (but not the war, as it turned out later) we drove across the Elb Bridges onto the island until we finally arrived at a gloomy courtyard with a shabby old house.
Is this the place???
Oh, I´ve seen those DIY perforated window shutters on photographs before!

February 2013
Who are you?
Where do you come from?
What are you doing here?
What is your deal???
Some of the questions people started to ask after realising I was sticking around for more than just a few days. I asked myself the same questions. I was told to observe the ongoing projects and find my own place, invent my own deal within the the whole thing. Although I felt rather confused in the beginning, it proved to be a rewarding approach.
The project is conceived as a structurally open process. In the first place, there are no predetermined architectural or economic outcomes - it is an ongoing making-of. Furthermore, it is an open flow, a throughput of people and ideas. It offers a chance to everyone (no matter how short they stay) to make a contribution by whatever they are good at: by telling a story, crafting a chair, harvesting some bricks, performing a theatre play, cooking a meal, or simply by giving a damn or caring about the place.

March 2013
Within only one month of my internship, I was able to say I had drawn some architectural plans, designed a little corner of the “Hotel?”, learned a bit about German building laws and fire protection, talked to building authority officials, given guided tours to international guests, harvested some paving stones, built scaffolding and capsules out of recycled materials,... but what is most valuable, I had the privilege of meeting many outstanding people and getting in touch with some extraordinary ideas.
I came to the University of the Neighbourhoods with no particular preconceptions or expectations, but even if I had very high ones, this experience would have certainly exceeded them.

April 2013
One of the exceptional people I was able to meet thanks to the UdN is Adrian Judt, an Urban Design student with whom I worked on designing and building a “Hotel?” capsule. This first joint action prompted a reflection about the potentials of the UdN, leading to the idea for a collaborative masters thesis. Driven by the question “What comes after the UdN?” we elaborated an alternative scenario for a new development in order to locally convey the knowledge accumulated during the project. The new proposal for the site follows the idea of living as a superposition of different programmes and activities, allowing interaction of a variety of actors.
The masters thesis adventure started in April and evolved day by day both by learning from the activities of the UdN and being active participants of its programmes.

June 2013
With the completion of the terrace and the arrival of the first sunny days, the building would get extended towards the park by simple action of removing polycarbonate windows. This would completely change the orientation of the building, making it more porous and inviting to the neighbours and passers-by, enabling the activities that usually take place in the events room and kitchen to expand outdoors. The terrace and the park would hence become a living room, an event space, a dining room, a classroom, a stage. This new spatial setting has even inspired us, students and residents, to start a Sunday´s Café, allowing us to interact with the neighbourhood and try out different spatial configurations. Every time a new lesson was learned about the influence of the architecture on human activities, and the influence of human activies in forming architecture. In the evening, the windows would be put back in their place closing the UdN off from the park.

October 2013
I was about to leave Hamburg after finishing the thesis, but it felt like my UdN journey did not have to end there. There were still things I could learn from the project and ways I could contribute to it thanks to the knowledge and experiences I had gained throughout the previous months. UdN´s charm lays in its contradictory nature of being on the one hand a familiar place, a home and a gathering point of friends and on the other hand a constantly changing place, teeming with various activities and new interesting people with many diverse backgrounds.

2014?
The building is going to be demolished in March. I have known it since I arrived, that was the deal between the city and the university. But I guess I never really realised the fact until the demolition company came. Now there is a precise calendar of deconstruction activities. It is really happening. However, UdN would have never become what it is today if it was not for its ephemeral character. As an architect, I treasured it as a tool to test spatial variations, a construction playground, an open experimental setting that enabled improvisation and surprising solutions to take place. Moreover, it is real-life proof that there‘s more to architecture than just form and function, by virtue of putting people in the first place: it is made with people and for people.
Furthermore, now that the end is approaching, it is not about clinging to emotional values and trying to keep the physical structure at any cost, but rather reflect on the lessons learned and have a say in the future development of the site. Although the UdN is specific to Wilhelmsburg, its ideas and the generated knowledge can inspire similar projects elsewhere.