Inner Rise – In my room

Autorin:
Katharina Oberlik
Performance-Künstlerin

Am Anfang war eine Baustelle.

Das Dixiklo stand vorne im Hof, echt eklig. Vor allem, wenn man andere darin einsperrt und dann beginnt daran zu rütteln, um es umzuschmeißen. Der Wasseranschluss – wenn man Wasser wollte, war gegenüber auf dem Bürgersteig – da musste man allerdings erst so ein Kanaldings draufschrauben und einen Schlauch mit einem Metallschlüssel dran anschließen. Dann hat der Schlauch das Wasser in die UdN hineingepumpt und man konnte sich die Hände waschen. Abends galt es, das dann alles wieder abzubauen, damit keine Fußgänger drüber stolperten.

Um ans Licht ranzukommen an einem warmen Sommernachmittag in der UdN musste man die Bretterwände abschrauben, die die Fenster vor Einwurf und Einbruch schützten. Das waren nicht gerade optimale Bedingungen für ein Theaterprojekt, das war mir aber egal. Ich war froh Partner und Räumlichkeiten gefunden zu haben, die Lust auf das Projekt hatten. Als ich Jonas, meinem Videopartner, die Räume das erste Mal zeigte, fragte er, ob wir nicht lieber eine Gefängnis-Doku drehen sollten. Das war im Frühjahr 2010. Ich wollte eine Seifenoper drehen. ‚In my Room’: eine interaktive Seifenoper mit Jugendlichen aus Wilhelmsburg und am besten mit Leuten aus der Nachbarschaft als Gaststars. Da ich statt den gewünschten 35.000 Euro Produktionsgeld nur 5.000 Euro zur Verfügung hatte, beschloss ich, dass wir uns alles, was wir an Ausstattung brauchten, schenken lassen würden. Die Farben, mit denen wir den Raum und die Möbel angemalt haben kamen von Max Bahr Altona und vom Obi Harburg. Die Kostüme kamen von der Altkleidersammlung Wilhelmsburg. Die Möbel standen sowieso in der UdN herum, die wollten nur noch gelb angemalt werden. Der staubige Raum ohne Steckdosen wurde in einen Probenraum und stylisches Filmset verwandelt, in dem wir im Sommer 2010 mit einer Gruppe von Jugendlichen arbeiteten und eine interaktive Seifenoper entwickelten. Ich habe noch zwei Jahre hinterher Staub aus meiner Lunge herausgehustet und ich frage mich, wie es den anderen ging, die dort täglich gearbeitet haben.

Wir trafen uns in den Sommerferien, drei-, viermal die Woche. Wir haben in dem Raum getanzt, trainiert, gearbeitet, mit den Studierenden der Sommerakademie kooperiert und Videos gedreht – Die Show ‚In My Room’ – eine interaktive Seifenoper, wurde dann bei einem Sommerfest der UdN aufgeführt – mit Gaststars, die aus dem Publikum rekrutiert wurden. Zudem ist ein Videofim entstanden, der von einer TV-Show bis zum Horrorfilm alle Genres bedient, die man im Fernsehen je gesehen hat.
Im Winter 2010/2011 wurde es zu kalt und zu ungemütlich an der UdN und unser Projekt wurde an der Honigfabrik weitergeführt. Dort hat sich eine neue Gruppe entwickelt, mit der ich dann im Herbst 2011 für die Ghettoakademie in die Räumlichkeiten der UdN zurückgekehrt bin. In der Zwischenzeit verwandelte sich das schäbige, staubige Haus allmählich in ein Gebäude mit schönen Räumen.

Die UdN war inzwischen ein fester Kooperationspartner – und mit der koordinatorischen und technischen Unterstützung von Stefanie und Max konnten wir in den Herbstferien 2011 die Ghettoakademie 2012: ‚In my House. In meinem Haus. Benim Evde’ dort durchführen.
Uns standen für eine Woche die gesamten Räumlichkeiten der UdN zur Verfügung. In unserer Akademie wurde Tanz, Gesang und Performance unterrichtet und wir arbeiteten zum Thema Wohnen. In die Präsentation waren Nachbarn, Verwandte und MitbewohnerInnen eingeladen mit uns gemeinsam zu essen und zu einer Performance in allen Räumen der UdN.

Ab da arbeiteten wir wieder regelmäßig – entweder in unserem Raum, den ich wacker gegenüber allen Renovierungsmaßnahmen verteidige – der daher inzwischen auch der einzige wirklich gemütliche Raum an der UdN ist. Alle anderen mussten ihre schmuddeligen Sofas abgeben und sind jetzt zwar sauber aber auch sehr kühl und universitär – ich vermisse die Sofas und finde es auch spannend, dass die gelben Sitzmöbel und Tische aus unserem Raum sich überall wiederfinden (nur nicht in unserem Raum). Wir interkulturellen Theaterleute stehen jedenfalls auf alte Polstermöbel aus allen Jahrhunderten und fläzen gerne darauf herum. Ebenso dienen uns barocke Stehlampen und komplett bemalte Wände zur Inspiration und zu Anregung unsere Kreativität!

‚Mein Leben großes Kino’ (2012) ist eine Filmproduktion, die inhaltlich komplett in den Händen der Jugendlichen lag. Als Setting und Probenraum dienten uns die Räume der UdN – ein Haus, an dem fünf junge Männer aus unterschiedlichen Gründen zusammentreffen: Vier von Ihnen sind zu einem Filmdreh zusammengekommen, der fünfte hat den Aufenthalt in einem Preisausschreiben gewonnen. Es entwickelt sich ein Mix aus Dokumentation und Fiktion, in dessen Verlauf einige Personen auf unschöne Weise umkommen.

Auch für diese Produktion diente uns die UdN als Setting, Aufenthaltsraum und Drehort. Netterweise hatten wir für den Dreh die Vorrechte auf den Raum und die dort in der Zeit untergebrachten ägyptischen Gäste mussten für unsere Drehmomente die Klappe halten. Dafür haben wir ihr gesamtes Geschirr abgewaschen. Interkultureller Austausch fand also auf vielen Ebenen statt und die Jugendlichen wurden in ihren Sprachkenntnissen herausgefordert.

Danke Stefanie, danke Bernd und danke Max, danke auch Manu und danke Ben, dass ihr uns seit drei Jahren beherbergt und Raum gebt. Wir werden an euch denken, wenn wir dann draußen sind aus Wilhelmsburg – in Rom, London und Paris touren und dann werden wir wehmütig und erinnern uns, wie es damals war, als wir noch nicht mal einen richtigen Proberaum hatten, und wie uns das doch eigentlich ausmacht, dieser Nichtraum, den wir gemeinsam teilen, und dass das doch das Beste ist, was uns passieren konnte. Dass wir aber trotzdem froh sind, dass wir jetzt einen Tanzboden haben und eine Anlage, und genug Platz, sich wirklich zu bewegen...