Log 8

Autor:
Benjamin Becker

Nach dem Auszug aus dem
UdN-Bautagebuch vom 13.09.2011

Protokollant: E. Osinski
Temperatur: 22°C / Wetter: sonnig
Bauteam: Hanna Uhlig, Eva Osinski
Eingesetzte Maschinen: Bohrer, Pinsel, Streichrolle
Ausgeführte Arbeiten: Wände malen, grundieren (Fertigst: erfolgt)
Baustoffe: Farbe
Bemerkungen: Sonstige Mitbeteiligte (Schülerpraktikanten) haben auf Anweisungen gehört, (sie) ausgeführt und sich hilfsbereit gezeigt.

Praktikanten

Auf der Galerie über dem Foyer schraubt ein Team HCU-Baustellenpraktikanten Gipskartonplatten auf die zuvor angebrachte Konterlattung. Letzte Schritte im Rahmen der Baumaßnahme “Dachdämmen“. Das Schlimmste ist da bereits überstanden: wochenlanges Zuschneiden und Einpassen von Mineraldämmwolle, Mundschutz und Ganzkörper-Bedeckung bei Backofentemperaturen im spätsommerlich aufgeheizten Dachstuhl, das Gefühl juckender Fasern am ganzen Körper und abends nur kalt duschen. Zwischenzeitlich war Astrids Kopf erschreckend angeschwollen, wie ein roter Kürbis im Herbst (allergische Reaktion auf die Dämmwolle). Jetzt, beim Sägen und Schrauben der Rigipsplatten, ist die Stimmung auf der Galerie entspannt. Kingsley, einer der acht Schülerpraktikanten der Gesamtschule Wilhelmsburg, die ihr Berufspraktikum auf der UdN-Baustelle absolvieren, lauscht schweigend den Ausführungen Immanuel Mihms zu den Herausforderungen, die das Studieren mit sich bringt. „Also, wenn Du Student bist, sagt Dir keiner mehr, wie Du was machen sollst und wann Du wo sein musst und so weiter. Da musst Du eigeninitiativ sein, dich und deinen Tagesablauf, deinen Studienplan selbst organisieren.“ Irgendwann ist Immanuel mit seinem Vortrag fertig und verschwindet in einen anderen Bauabschnitt. Kingsley hat immer noch kein Wort gesagt. Er reicht Astrid die nächste SPAX-Schraube, dann sagt er: „Stimmt es eigentlich, dass alle Studenten kiffen?“ Perplexes Schweigen auf dem Dachboden der Universität der Nachbarschaften. „Und stimmt es, dass Kiffen schlau macht?“

Später, weiter unten im Kriechkeller: feuchter Sand, spitze Steine; lange Holzbohlen, aneinandergereiht, bilden eine provisorische Rampe, auf der wir uns robbend durch den 60 cm hohen Raum fortbewegen. Von der Einstiegsluke im ehemaligen Heizkeller bis zu der Stelle unter dem Veranstaltungssaal, an der die Unterfangung der neuen Wand gemauert werden muss, erstrecken sich rund 15 endlose Meter. Auch ohne klaustrophobische Veranlagung eine Herausforderung, müssen zusätzlich ja auch Maurerbütts voller Mörtel und unzählige Kalksandsteine robbend durch den Keller befördert werden, während die drei Baustrahler die Temperatur allmählich in unerträgliche Höhen treiben. Immanuel und mir, aber auch den Schülerpraktikanten, die sich mit uns durch den Keller quälen, ist längst klar geworden, warum der Kriechkeller Kriechkeller genannt wird.
Auf halber Strecke öffnet sich rechts neben der Rampe unvermittelt ein kryptisches schwarz-schleimiges Loch im Boden. Im gleisenden Licht der Baustrahler der Glanz unzähliger Fliegen, die am Kraterrand hocken. Schlimmer als der Anblick ist allein der Geruch. Eine olphaktorische Katastrophe. Kurzzeitig denke ich darüber nach, aufzugeben. Da höre ich hinter mir, auf der Rampe, die Schülerpraktikanten gut gelaunt lachen. „He, Musti, riechst Du das. Stinkt Todes, Digger!“
„Und jetzt? Willst Du später immer noch auf dem Bau arbeiten?“ Das dreiwöchige Schülerpraktikum ist fast zu Ende. Zeit für eine abschließende Evaluation während der Kaffeepause. “Hm, weiß nicht. Also, ist schon anstrengend.“ antwortet Mohammed. “Hat es Dir denn auch Spaß gemacht?“ „Also, eigentlich nicht.“ „Gar nichts? Nichts hat Spaß gemacht?“ „Doch. Malen, also: die Wand anstreichen, fand ich gut“. „Also Malerarbeiten. Das ist auch ein eigenständiges Gewerk auf dem Bau. Da wärst du dann Maler von Beruf.“ „Mh, aber verdient man da auch gut?“ „Was wäre denn ein guter Verdienst in deinen Augen?“ „Na ja, ich will später einen fetten BMW fahren, also so 6000 - 8000 Euro monatlich müssten da schon bei rumkommen. Geht das, als Maler?“ Immanuel und ich lachen laut. Mohammed: “Vielleicht gehe ich aber auch einfach weiter zur Schule und studiere später, so wie ihr.“ „Ja, das ist auch eine Möglichkeit. Nur, wenn es hinterher der fette BMW sein soll: lieber nicht Architektur studieren.“