3 x International Summer School

Autorin:
Renée Tribble
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Fachgebiet Städtebau & Quartierplanung, HCU Hamburg

Vom Leben und Arbeiten auf der Baustelle zum internationalen Workshop im Quartier

Was können wir in zwei Wochen an Fähigkeiten für die Ausbildung von Stadtplanern, Städtebauern und Architekten vermitteln? Wie kann das erlangte Wissen angewandt und auf seine Wirksamkeit in der Praxis ausprobiert werden? Wie beschreiben wir die Schnittstelle zwischen universitär erlangtem Wissen und urbaner Realität?

Dies sind Fragen, die sukzessive im Laufe vom drei Internationalen Summer Schools (ISS) in der Universität der Nachbarschaften (UdN) entstanden, die sich uns stellten und den Teilnehmern gestellt wurden. Doch neben der Didaktik, der Lehre und dem Wissen steht auch das Gebäude der UdN – oder besser das Konzept UdN in seinem jeweiligen Aggregatzustand. Ein Hüllwerk, das in ständiger Transformation jedes Jahr in einem anderen Zustand und zu anderen Nutzbarkeiten wie auch Interaktionen geführt hat. Die UdN ist immer eine situative Momentaufnahme, die so wie sie ist das Geschehen im inneren und um sie herum beeinflusst. Wie hat sich dieses Moment auf drei Jahre Internationale Summer School ausgewirkt? Auf jeweils zwei Wochen im August? Auf jeweils knapp 20 Teilnehmer von Amerika über Europa bis Russland? Und nicht zuletzt – wie hat sich die Nachbarschaft, wie hat sich Wilhelmsburg unseren Augen in diesen Momentaufnahmen gezeigt?

Der Blick von außen war ein wichtiges Charakteristikum der Internationalen Summer Schools. Der unvoreingenommene, aber doch geschulte Blick im Quartier, die unbefangene Interaktion vor Ort und mit den Bewohnern, den Menschen auf der Straße und Nutzern der Plätze, das Entdecken verwunschener und verborgener Orte. Es ging um „urban trans_formation and meta_morphosis“ in Wilhelmsburg (ISS 2009), um „Intercultural Living – Economies of Change“ (ISS 2010) und „Climate Cultures oft the Everyday” (ISS 2011). Und ebenso ging es darum, das Gebäude – die Ruine, wie die Teilnehmer der ersten ISS die Mauern schnell nannten – wohnbar zu machen und zu beleben.

„Leben und arbeiten auf der Baustelle“ war das Motto der ersten Summer School: Für fließendes Wasser musste morgens ein Standrohr gesetzt werden, von dem ein angeschlossener Gartenschlauch Wasser in die Küche brachte, die Duschwanne war leider nicht als Waschbecken nutzbar, aber als Gemüselagerstätte unverzichtbar. Ein Klo konnte funktionsfähig hergestellt werden, die Beleuchtung im Klo blieb ein Baustrahler. Geduscht wurde in der Turnhalle der Grundschule nebenan – dort wo heute das Sprach- und Bewegungszentrum steht. Es roch alt und modrig, nach spätestens einer Stunde war die feuchtnasse Kälte in alle Glieder gedrungen, Abhilfe schaffte ein Baulüfter, der wiederum so laut war, dass man ihn nur bedingt benutzen konnte – auf jeden Fall nicht, wenn man arbeiten wollte. Mittagsessen wurde geliefert, der erste Grill war ein umgebauter Einkaufswagen und die Herausforderung des Abendessens bestand darin, aus den unzähligen überzähligen Toastbroten, Tomaten und Sellerieknollen der Wilhelmsburger Tafel leckere Menüs zuzubereiten, bevor diese Schimmel ansetzten.

Zu Beginn waren die Internationalen Summer Schools einschneidende Termine im Curriculum der UdN, zu dem ein bestimmter (baulicher) Stand erreicht sein musste. Waren es zunächst (unzerstörbare) Fenster und ein gedämmter Fußboden im Bereich der Schlafräume, so waren es im zweiten Jahr bereits die Duschen und eine offene Küche und im dritten Jahr der Dacheinschnitt, herausnehmbare Öffnungen zum Park und eine Heizung. Hinzu kam eine immer bessere ausgestattete Küche, das Geschirr musste nicht jedes Mal ausgeliehen werden und lokale Produzenten lieferten die Grundnahrungsmittel. Mehr und mehr Komfort – obwohl das Haus sich im ständigen Rückbau befand.

Mit der Öffnung des Gebäudes ging auch eine sukzsessiv ansteigende Interaktion mit der Nachbarschaft einher. Sowohl in den Projekten als auch in der täglichen Interaktion. Eine sich ständig selbst überschreibende Programmierung der UdN durch unterschiedliche Formate und sich verankernde wie temporär andockende Nutzungen schufen dafür die Grundlage. Von der Nachbarschaftsküche durchs Küchenfenster zum Park, über die Nachbarschaftsfeste auf der dem Küchenfenster vorgelagerten Terrasse bis zum gemeinschaftlichen Kochen unter dem transluzenten Dach und das plötzlich sichtbar werdende Innenleben der UdN durch die mit Folie bespannten Fenster, die schließlich zu festen aber herausnehmbaren Rahmen wurden, die das Geschehen im Inneren transparent in den Park hinaus tragen.

Die Kinder des ersten Baumhausbauens halfen in der sich anschließenden Summer School den Begrüßungskuchen zu backen, ein Jahr zuvor wurden ISS Teilnehmer aktiver Teil des Theaterstücks „In my Room“ von Katharina Oberlik – mit dem Effekt, dass die Jugendlichen aus dem Projekt noch nach der Abreise aller Teilnehmer im Gebäude vorbei schauten und beim Verstauen von Kisten auf dem Dachboden halfen. So sind zahlreiche Bilder entstanden – und vielleicht lässt sich anhand von Bildern die Vielzahl der besonderen Momente ausschnitthaft am besten beschreiben.

Als erstes das Bild des Kochens - alle Teilnehmer von oben in der Küche lachend fotografiert. Die Küche als Herzstück jeder Summer School. Und das Bild von Christopher Dell und der Wand, die heute noch nicht überstrichen ist. Sein Vortrag über Improvisation in einer rasenden Geschwindigkeit, so dass während seines Vortags oder besser des Action-Writings alle fasziniert den komplexen Zusammenhängen folgten, wie sie sich da an der Wand ausbreiteten, und schon nach einer Stunde kaum jemand die einzelnen Abzweigungen und Kehrtwenden in diesem Labyrinth hätte nachfahren können.

Das Bild mit den offenen Fenstern vom Park, während des Vortrags von Peter Schwehr, in dem sich die Parallelität unterschiedlicher Lebenswelten so deutlich abzeichnete. Drinnen das Bild Darwins projiziert zu einem Vortrag über die Anpassungsfähigkeit von Gebäuden, erforscht in einem hoch dotiertem Schweizer Labor, und draußen die Kinderwagen, Schulkinder, junge Mütter und alten Frauen mit Kopftuch, die vorbeilaufen. Sonnenstrahlen brechen durch das dunkelgrüne Laub der uralten Bäume im Park. Die UdN ein Ufo? Was machen diese Menschen hier eigentlich, die im schönsten Sonnenschein ihr Haus zum Park öffnen, aber selbst nur mit Kamera, Laptop und Aufnahmegerät rausgehen?

Das Bild von Larissa, wie sie allein hinter der UdN mit ihrem Rechner sitzt. Im Jahr der allerersten Summer School, in der das Wetter zum Glück mitspielte, und ohne Heizung und fließend Wasser arbeiten und leben in der UdN improvisiert wurde. In der wir noch recht klassisch die „open spaces“ in Wilhelmsburg erkundeten und „unentdeckte“ Qualitäten an allen Orten entdeckt werden konnten. Wie wir uns für ein Picknick durch die Büsche schlugen und wie Schatzsucher Wasserturm und Reiherstiegknie auffanden, Wertsachen im Baucontainer einschlossen und Fenster und Türen bei Verlassen des Hauses mit Brettern sichern mussten. Ohnehin kam man sich bei der Vorbereitung der Summer School in den ersten beiden Jahren wie Action-Helden vor, Akkuschrauber in beiden Händen, Schrauben und passende Bits zwischen den Zähnen, sich durch eine zurückgeschnittene aber eher agent orange entlaubten gleichenden Wildnis schlagend, Riesenspinnen tötend, um Fenster und Türen der Basisstation von ihren Holzverschlägen zu befreien und den Gästen ein herzliches Willkommen in einer hellen, lichtdurchfluteten UdN zu heißen.

Das Bild des Schlafplatzes, Feldbett links, Lampe rechts und offener Koffer dazwischen. Als einziger Komfort der neue Boden, der kurz zuvor mit den Leuten von Arbeiten und Lernen Hamburg eingezogen wurde, und das trotzdem eine gewisse private Atmosphäre von Wohnen zeigt. Nach wie vor bin ich erstaunt, dass die 17 Teilnehmer damals nicht der UdN ihren Rücken kehrten, als sie im August 2009 nach langen Anreisen erkannten, dass sie in diesem Gebäude schlafen und arbeiten sollten.

Ganz ohne Zweifel auch der Luftaufsicht-Bus, orange mit Warnleuchte. Mit ihm hatte man immer Vorfahrt, alle hielten einen gewissen Sicherheitsabstand, weil sie die Aufschrift nicht so recht einzuordnen wussten. Hunderte Fahrten zwischen City Nord, Averhoffstraße, THW Harburg und Marktkauf Wilhelmsburg. Tage, die wir damit verbracht haben, alles zum Wohnen, Leben und Arbeiten Notwendige in die UdN zu bringen und anschließend wieder zurück. Plus unzählige Stunden, die UdN von Baustelle in Wohnstätte umzuwandeln, wenn selbst der Industriestaubsauger nach 10 Minuten streikte.

Das Bild von Ton Matton und Maria, Sofia und Guadalupe, wie er mit ihnen das Ergebnis ihrer ersten Ausstellung diskutiert. Marias Gruppe wunderte sich, wie auch eine Gruppe im Vorjahr, warum die großzügigen grünen Zwischenräume nicht genutzt wurden, warum war da nie jemand, warum nutzten die Menschen nicht diese tollen Wiesen? Soviel grün mitten in der Stadt empfanden sie alle als Luxus, derartige Zwischenräume gab es bei ihnen zuhause nicht. Mit Umfragen „es gefällt mir nicht“ und „es gefällt mir“ erkundigten sie sich nach den Wünschen der Anwohner und suchten nach Ursachen dafür. Sie beobachteten, fragten, stellten Thesen auf und gingen zu deren Überprüfung in die Nachbarschaft. Kleine Interventionen wurden aufgebaut und die Reaktionen analysiert. Hatte die Intervention einen Einfluss auf die Art und Nutzung des Ortes? Hatte sich etwas verbessert? Die Thesen wurden überprüft, modifiziert und neu auf die Situation appliziert. Aus der Serie von Aktion – Reaktion – Interaktion generierte die Gruppe das Wissen für ihr Konzept.

Zwei Teilnehmerinnen der ersten Summer School hatten beschlossen, dieses Erlebnis mit der Teilnahme an der nächsten Summer School fortzusetzen. Durch ihre zweite Teilnahme waren Maria aus Italien und Larissa aus Russland in den Praktiken geübt und gaben ihr Wissen an die übrigen Gruppen weiter. Maria entschied sich dann an der HCU zu studieren und kehrte als Austauschstudentin im Master „zurück“. Die begeisterten Teilnehmer der zweiten ISS schlugen vor, die ISS in der UdN auf der ersten Biennale de Spacio Publico in Rom 2012 zu präsentieren. Vorschläge für die beiden Ausstellungsplakate wurden von fünf untereinander vernetzten Teilnehmern aus den USA, Mailand und Venedig ausgearbeitet. Daraus wiederum resultierte die Teilnahme einer jungen Absolventin aus Venedig an der nächsten Summer School.

Am Ende von drei Jahren ISS waren wir uns sicher welche Themen in zwei Wochen in Wilhelmsburg auftauchen würden. Von Jahr zur Jahr verlagerte sich der Anteil der Arbeiten von räumlichen über strategische hin zu experimentellen Projekten. Die Versuchsanordnung leben und arbeiten auf der Baustelle ist längst zu einem funktionierenden Grundbestandteil der UdN geworden. Noch heute bin ich jedes Mal fasziniert, wie sich die UdN wieder gewandelt hat, wie abhängig die Stimmung und Atmosphäre von den jeweiligen Nutzern und Nutzungen ist – wie offen und wie geschlossen dieses Haus im Stadtteil wirken kann. Ton Matton sagte einmal während der zweiten Summer School zu den Teilnehmern: Ihr seid die Hausherren – und also auch die Gastgeber, heißt eure Gäste willkommen.