Zwischenort

Autorinnen:
Katrin Hovy
Anna-Lena Homann
Lisa Brunnert
Studierende Urban Design

Im Rahmen des Seminars Urban Territories 2, betreut durch Katja Heinecke und Katrin Klitzke
Winter 2011/12


Weg von der Hauptstraße. Bäume säumen den Weg. Plötzlich sieht es fast idyllisch aus. Es entsteht ein Kontrast. Die laut befahrene Autobahn über uns – die Ruhe in der Unterführung. Die Helligkeit am Ende der Unterführung – die Dunkelheit darunter. Durch den Tunnel gelangen wir in bewohntes Gebiet. Es ist ruhig und warm. Hier hat der Wind nicht mehr so viel Kraft. Frauen stehen herum und unterhalten sich. Kinder spielen. Man kann die Vögel zwitschern hören. Und dann ein Lkw, die Idylle ist zerstört. Ein Zwischenort.

Dazwischen

Dazwischen ist ein seltsamer Ort; eine Schwelle, ein Übertritt, ein Abbild der Alltäglichkeit. Doch was macht diesen Ort alltäglich? Die wiederkehrenden Abläufe? Denn wiederkehrende Abläufe gibt es viele im Dazwischen. Das Dazwischen ist geprägt durch Straßen und dem darauf zirkulierenden Verkehr. Was bindet mich an diesen Ort? Abgesehen vom Transit und dem Wunsch ihn (rechtzeitig per öffentlichem Verkehrsmittel) wieder zu verlassen? Und welche Bedeutung nimmt der Ort innerhalb des urbanen Gefüges ein? Der Mensch speichert seine Umwelt in Schemata und kann diese zu gegebener Zeit wieder abrufen. So erkennen wir eine Straße immer als eine Straße und vermeiden Reizüberflutung. Ähnlich ist auch unser erster Blick auf den „Ort“ (die Kreuzung Hovestieg / Veddeler Brückenstraße). Das kommt uns doch irgendwie bekannt vor.

Man könnte sich fragen: Lohnt es sich, die Schemata abzulegen und einen Blick auf das Dazwischen und somit hinter die Reduktion der Reizüberflutung zu werfen? Ein klares Ja! Denn es passiert etwas im Dazwischen. Wir brauchen lediglich eine Betrachtung frei von unserer Annahme: eine Straße ist eine Straße – völlig egal ob auf der Veddel oder in Paris. Hierfür bedarf es einer Dezentrierung der ethnografischen Perspektive „um städtische Raumaneignungspraktiken adäquat zu erfassen und nachvollziehbar zu machen […]“. 1 Dies bedeutet im Sinne der ANT (Akteur-Netzwerk-Theorie) die Abwendung von einer ausschließlich auf den menschlichen Akteur konzentrierten Arbeitsweise, hin zu einer Betrachtung von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren (Aktanten). „Materialität ereignet sich allein durch Praktiken, die Akteure und Aktanten in Beziehung setzen.“ 2

Was ist dazwischen?

Das beforschte Dazwischen zeigt sich als funktionierendes System. Es dient vordergründig dem Transit von Menschen sowie dem Transport von Gütern. Vorhandene Wege werden zielgerichtet passiert. Bringt man allerdings die Aktanten ins Spiel, so ergeben sich ortsspezifische Besonderheiten und das Denken in Schemata löst sich auf.
Der Tunnel wird für den Fußgänger innerhalb des Gefüges zur Kulisse, denn durchquert wird er meist nur mit dem Automobil oder den öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus). Er bildet gleichsam ein Tor im räumlichen und gefühlten Sinne. Dieses gilt es zu passieren. Der Tunnel ist Eingang und Ausgang. Durch den Verlauf der Straße ist das Ende des Tunnels nicht einsehbar. Dieser Umstand verstärkt die Wahrnehmung als Tor. Auch bei Tageslicht liegt der Tunnel im Halbdunkel, die Beleuchtung konzentriert sich auf die Fahrbahn (und somit auf den Hauptnutzer – den Autofahrer). Durch seine spezifische Beschaffenheit allerdings wird der Tunnel für bestimmte Akteure zu einem „freien Ort“. Hier ist er nicht nur Kulisse, sondern Leinwand, welche durch Graffiti (Aneignungspraktiken) gekennzeichnet ist. Das Überqueren der Straße (für Fußgänger) ist durch die Bewegung der anderen Akteure (in Automobilen) und die Position der Aktanten reglementiert. Die Absperrung auf dem Bürgersteig soll zu einer Nutzung der Ampel führen, wird aber von den meisten Fußgängern umgangen und ist somit für den Gebrauch der Fahrbahn als Fußweg verantwortlich. Durch die Einrichtung einer Bushaltestelle ohne Sitzmöglichkeiten wird eine Mauer (von den Wartenden) temporär als Sitzmöglichkeit umfunktioniert.

Die Auswertung des erhobenen Materials zeigt, dass Akteure durch ihre Bewegung im Raum Aktanten in eine Abfolge bringen und somit in einen Kontext setzen. So werden die Kreuzung, der Tunnel, die Graffitis, die Verkehrsschilder, die Straßenlaternen sowie die Beleuchtung im Tunnel (von allen Akteuren) durch Abhängigkeit oder Notwendigkeit, durch tägliche Wege, vorbeigehen, vorbeifahren, durch beachten oder durch ignorieren miteinander verknüpft. Dies geschieht temporär, zu unterschiedlichen Tageszeiten und dennoch konstant. Die Konstellation der Aktanten und das in Beziehung setzten selbiger durch die Akteure ist spezifisch und somit ist es auch das Dazwischen.

  1. Färber, A. (2010): Greifbarkeit der Stadt: Überlegungen zu einer stadt- und wis- sensanthropologischen Erforschung stadträumlicher Aneignungspraktiken. Dérive 40. (Heft 41). S. 101.
  2. Ebd. S. 102