Interaktion und Teilhabe

Intervention in die Intervention

Wenn wir als universitäres Seminar aus der Universität in den öffentlichen Raum bzw. eine gemeinnützige Organisation gehen, handelt es sich um eine Intervention. Diese Bewegung spiegelte nicht zuletzt das Ziel des Methodenseminars, Forschung als Intervention zu betrachten. Wir intervenierten, um uns mit der Intervention als Form, als Aktion (vgl. Easterling 2010) auseinanderzusetzen.

Ein Dienstag im Sommersemester 2014, 14h. Nach und nach trudeln die Studierenden ins Foyer des Kunstverein in Hamburg. Tische und Bänke stehen jede Woche anders; ihre spezifische Anordnung erzählt von ihrem Gebrauch in unserer Abwesenheit. Wir entscheiden gemeinsam im Seminar, wie und wo wir sie zusammenstellen, um die heutige Sitzung zu gestalten. Wir wollen Bruno Latours Text „Ein vorsichtiger Prometheus? Einige Schritte hin zu einer Philosophie des Designs, unter besonderer Berücksichtigung von Peter Sloterdijk“ diskutieren. Unter den Studierenden sitzt auch ein älterer Herr, der sich in die Diskussion einbringt und sie schnell dominiert. Es scheint die Studierenden teilweise zu hemmen oder sogar einzuschüchtern, dass ein pensionierter Lehrer in die Seminarsituation interveniert, sich wortstark in die ansonsten stockende Diskussion einbringt. Der Text von Latour ist dicht, voller zu klärender Vokabeln und Konzepte, mit Hinweisen und Implikationen gespickt, die wir nur langsam durchdringen. Ab und an kommt ein Besucher in den Kunstverein, schaut sich um, wendet sich an den Tresen, um den Eintritt zu bezahlen und Informationen über die laufenden Ausstellungen zu erhalten. Es bleibt unklar, ob Besucher_innen des Kunstverein in Hamburg die Tischrunde als Seminar erkennen. Wir sind in dem Moment Kulisse oder sogar Störung. Die Dozentin stellt Fragen, weil kaum Beiträge zur Diskussion kommen: Wer war Prometheus? Was ist Hermeneutik? Was sagt Latour zum Designbegriff? Immer antwortet der ältere Herr, bietet sich lehrerhaft an, alles noch einmal von Grund auf zu erklären, reißt die Seminardynamik an sich, bis die Dozentin eingreift und ihn bittet, die eigentlichen Nutzer_innen des Seminars mehr zu Wort kommen zu lassen. Es ginge nicht darum, alles zu erklären, sondern im Gegenteil – im Sinne der Haltung, die wir als Teil des UD-Studiums kontinuierlich üben – Zusammenhänge aufzuschließen, in Frage zu stellen, uns von diesen Zusammenhängen im wörtlichen Sinne betreffen zu lassen: Latour schreibt, „dass aus »unabänderlichen, neutralen Tatsachen« (matters of fact) mittlerweile »uns angehende Sachen« (matters of concern) geworden sind“. Eine Studentin meldet sich zu Wort und überlegt laut, ob dies nicht auch entscheidende Konsequenzen für das wissenschaftliche Arbeiten habe: „Wenn uns die Dinge etwas angehen, als Individuen mit ganz unterschiedlichen und spezifischen Hintergründen und Erfahrungen, stehen sie uns nicht als starre und scheinbar neutrale Dinge gegenüber, sondern müssen von einer jeweiligen Position aus betrachtet und eingeordnet werden. Ich begreife diesen Gedanken von Latour als Aufforderung zur Positionierung: Auch Wissenschaft ist dann nicht mehr Faktenproduktion, sondern situierte Stellungnahme. Wissenschaft ist auch nichts anderes als Design.“ Begeistertes Nicken trifft verwirrte Blicke, schnell kommt die Frage, ob sie das noch mal zum Mitschreiben sagen kann. Der Lehrer ist jetzt vorsichtiger, er fragt, ob er noch etwas sagen darf. Gleich. Ein Student fragt, was diese Auseinandersetzung für das methodische Vorgehen bedeutet, ob es dann nicht schwierig sei, Meinungen von Wissen zu unterscheiden. Eine weitere Studentin verweist auf den vierten Vorteil des Begriffs »Design«, den Latour „zusätzlich zu seiner Bescheidenheit, seiner Aufmerksamkeit fürs Detail und dem stets zu ihm gehörenden semiotischen Geschick“ ausmacht: es handelt sich um einen Prozess, „der niemals bei Null anfängt: designen heißt immer redesignen. Stets ist bereits etwas da, das als Gegebenheit, als Sachverhalt, als Problem existiert.“ (2008: 361) Halte man sich vor Augen, dass auch Forschung immer Design, also Gestaltung beinhaltet, ist auch Forschung immer eine Art Neubetrachtung. „Genau! Er sagt doch auch an späterer Stelle,“ ruft eine dritte Studentin, „dass Design als eine Art Vorsichtsmaßnahme gesehen werden kann, die miteinschließt, dass wir radikal vorsichtig oder vorsichtig radikal sein müssen. Es geht, so verstehe ich den Text, um die Verantwortung, die wir mit Forschung eingehen, sowohl den Dingen gegenüber, die wir beforschen und damit auch gestalten, als auch dem Wissen gegenüber, das wiederum die Dinge, die Verhältnisse mitgestaltet.“

Ist unsere Gesprächsrunde im Foyer des Kunstverein noch Seminar oder haben wir mit dem Gebäude Universität auch das Prinzip Universität verlassen? Wie verhalten wir uns zur Intervention in die Intervention, die Störung oder das Einmischen des Lehrers, während wir gleichzeitig selbst stören und in den Kunstverein intervenieren? Fordern wir diese Art von Interventionen nicht geradezu heraus? In der Pause steht die Dozentin mit dem Lehrer draußen am Hintereingang des Kunstverein. Sie sprechen miteinander; es wird also doch nicht immer alles gemeinsam ver- und ausgehandelt, gleichzeitig wird deutlich, dass diese verschiedenen Formen und Ebenen der Aushandlung nicht zuletzt Bestandteil des Formats »Seminar« sind; es wird eben nicht alles gemeinsam diskutiert; persönliche Anliegen von beiden Seiten werden durchaus im Zwiegespräch ausgemacht. In seinem »Plädoyer für die performative Dimension« beschreibt Norman K. Denzin, dass in „Aufführungen des Widerstands [...] das Persönliche politisch [wird]. Das geschieht genau in jenem Augenblick, da die Bedingungen der Identitätskonstruktion problematisiert und in der konkreten Geschichte lokalisiert werden.“ (2008: 184)

  • Idee: Das Foyer als Forschungslabor

  • Montags ist der Kunstverein geschlossen

  • Imagine there’s no counter at least nowhere in sight

  • Imagine there's a lot of glass around you

  • And below you only light

  • Imagine all the people sharing tasty pie

  • You may say we are but dreamers
    but we’re not the only ones
    I hope someday you’ll join us
    to talk about what could be done

Grundannahmen des Symbolischen Interaktionismus

Der Symbolische Interaktionismus beruht auf folgenden Grundannahmen (vgl. Blumer 1981):

  1. »dass Menschen gegenüber ›Dingen‹ auf der Grundlage der Bedeutungen handeln, die diese Dinge für sie besitzen« (Blumer 1969, S. 2; dt. 1973, S. 81).
  2. Die Bedeutung der Dinge entsteht in der sozialen Interaktion.
  3. Bedeutungen werden »durch einen Prozess der Interpretation verändert, in dem selbstreflexive Individuen symbolisch vermittelt interagieren« (Blumer 1969, S. 2; dt. 1973, S. 81).
  4. Menschen erschaffen die Erfahrungswelt, in der sie leben.
  5. Die Bedeutungen dieser Welten sind das Ergebnis von Interaktionen und werden durch die von den Personen jeweils situativ eingebrachten selbstreflexiven Momente mitgestaltet.
  6. Die Interaktion der Personen mit sich selbst ist »mit der sozialen Interaktion verwoben und beeinflusst sie ihrerseits« (Blumer 1981, S. 153).
  7. Formierung und Auflösung, Konflikte und Verschmelzungen gemeinsamer Handlungen konstituieren das »soziale Leben der menschlichen Gesellschaft«, wie Blumer sagt. Gesellschaft besteht aus den gemeinsamen oder sozialen Handlungen, »die von [ihren] Mitgliedern geformt und vollzogen werden« (Blumer 1981, S. 153).
  8. Ein komplexer Interpretationsprozess erzeugt und prägt die Bedeutungen der Dinge für die Menschen. Dieser Vorgang gründet im kulturellen Bereich, »im Kreislauf der Kultur« (du Gay, Hall, James, Mackay & Negus 1997, S. 3), in dem Bedeutungen durch die Massenmedien definiert und Identitäten, auch in der Werbung, im Kino und im Fernsehehn, in geläufigen kulturellen Schemata repräsentiert werden.

Aus: Norman K. Denzin (2007): Symbolischer Interaktionismus. In: Uwe Flick; Ernst von Kardoff; Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 136-149; hier S. 138-139.

Interventionen