Wir richten uns hier ein

Aktionsfeld: Das Foyer des Kunstverein Hamburg

Dem Ort des Foyer Kunstverein lässt sich aufgrund seiner innenarchitektonischen Gestaltung nicht so ohne weiteres eine (neue) Nutzung zuschreiben. Insgesamt wirkt das von der Wandfarbe bis hin zum Interieur ganz in weiß gehaltene Foyer eher kühl und nicht sehr einladend.

Bis auf die notwenigsten Elemente eines Foyers, einer Empfangstheke, einer kleinen Präsentationswand gegenüber dieser sowie Zugängen zu anderen Räumlichkeiten (s. Abb. 1) ist das Foyer ein luftleerer Raum und selbst „Kunstobjekt“ (white cube).

Sobald man den Raum durch die zwei Eingangstüren betritt, wirkt alles sehr inszeniert. Zudem ist die Empfangstheke der einzige Bezugspunkt bzw. Rückzugsort im Raum. Er vermittelt eine gewisse Hierarchiestruktur im Raum. Allgemein dient er nicht zum langen Aufenthalt oder gar Verweilen. Er hat nur einen Zweck: Er strukturiert das Ankommen im Kunstverein und vermittelt den Übergang zu den verschiedenen Ausstellungsräumen. Also wie sollte hier ein Seminar bzw. eine neue Begegnungszone geschaffen werden? Darauf gibt es eine relativ einfache Antwort: Das setting musste verändert werden. Dies sollte durch neue zusätzliche Möblierung geschehen, die sowohl für die vom Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design veranstalteten Seminare genutzt werden konnten als auch für Besucher*innen des Kunstvereins zugänglich sein sollten.

[Easterling]konstatiert, dass es für Theaterleute „die Norm ist, [...] Handlung als wesentliches Rohmaterial zu betrachten“ (Easterling 2010: 26), während sich Architektur und Urbanismus zu oft an einem vorrangig nominativen Formverständnis orientiere. Architektur sei jedoch durchaus an der Entstehung von Handlungen beteiligt, weil die scheinbar bloße Infrastruktur, die sie schafft, eigenes Handlungsvermögen entfalte. „Infrastruktur trägt [...] eine Disposition in sich.“ (Ebd.)

Abb. 1 Grundriss des Foyer / Kunstverein Hamburg (M 1:100)

Zirkeltraining

Ziel des Workshops sollte nur bedingt das fertige Möbelstück(e) sein. Ein weit wichtigerer Schwerpunkt lag auf dem Prozess, dem Tätigwerden, sich selbst mobilisieren und einrichten. Zum einen sollte die einzelnen Studenten*innen Teil des Prozess selbst werden, um zu verstehen, dass nur durch eine gemeinsame Arbeit und Auseinandersetzung mit dem setting hier ein Seminar stattfinden kann. Zum anderen sollte der intervenierende Prozess, mit dem sich die Universität in ein öffentliches Foyer einschreibt, auch noch einmal durch eine raumgestaltende Geste zum Ausdruck gebracht werden.

Eine Gruppe von drei Student*innen (Suzana Cosic, Florence Oliard & Moritz Schneider) hatten sich dazu bereit erklärt, den Workshop zu konzipieren und in der Umsetzung anzuleiten. Es sollte mit vorhandenen Materialien aus dem Fundus des Kunstverein in Hamburg gearbeitet werden.

Nach einer Sichtung des Materials wurde eine einfache, schnell umzusetzende und stabile Konstruktion entwickelt. In Absprache mit den Lehrenden und der Direktorin des Kunstverein in Hamburg wurde entschieden, eine Kombination aus Tischen und Bänken zu bauen.

Nun musste noch der wichtigste Teil konzipiert und koordiniert werden, der Workshop an sich. Dabei wurde auf die Methode des „Zirkeltraining“ zurückgegriffen. Es sollten verschiedene Stationen geschaffen werden, an denen einzelne Arbeitsschritte der Konstruktion ausgeführt wer- den sollten. Wie in eine Art Fließbandarbeit sollten so die Einzelteile von Station zu Station weitergereicht werden und in einem letzten Schritt dann zusammen montiert werden.

Da davon auszugehen war, dass die Studenten*innen nur teilweise fachkundiges Wissen und handwerkliche Geschicklichkeit mitbringen (ohne jemand diskeditieren zu wollen) mussten die einzelnen Arbeitsschritte so einfach wie möglich gehalten, konkret beschrieben und der Werkzeugeinsatz auf ein Minimum reduziert werden. Es wurden Stationsbeschreibungen für die verschiedenen Bereiche entwickelt (s. Abb. 2). Auf diesen Stationsbeschreibungen war das zu verwendende Material gekennzeichnet, welche Arbeitsschritte damit ausgeführt werden sollten, welches Werkzeug wie zu verwenden ist und auf was besonders zu achten ist.

Abb. 2 Skizze Aufbau des Zirkel

Produkt, Funktion & Konstruktion

Im Design bzw. in der Konstruktion der Tische und Bänke war man etwas eingeschränkt, da nur eine begrenzte Anzahl an Material vorhanden war, welches auch noch sehr wenig verschiedene Kubaturen aufwies. Es waren 50x120mm starke Kanthölzer und 30x100mm und ca. 4-5m lange Latten (s. Abb. 4) vorhanden.

Aus diesen zwei Materialien sollten fünf Tisch- und Bankkombinationen hergestellt werden, die von der Konstruktion einfach zu bauen, stabil und für verschiedene Zwecke nutzbar sind (s. Abb. 5). Dies erreichte man durch einen umlaufenden Rahmen, der mit den Beinen bzw. Füßen verbunden wurden. Dies bildete das Grundgerüst. Durch die in den Rahmen geschraubten Decklattungen (spätere Tisch-/Sitzfläche) ergab sich eine gewisse Versteifung und die Konstruktion wurde in sich stabil.

Bei den Ausmaßen der Konstruktion richteten wir uns hinsichtlich der Höhen an allgemeine Richtwerte bzw. Normhöhen für Tische und Sitzgelegenheiten (Tische ca. 76cm, Sitzgelegenheiten ca. 45cm). Zum anderen wurde ein modulares Raster (1:2) verwendet, mit dem es möglich war, die Tische in verschiedenen Kombinationen zusammen zu stellen.

  • Abb. 4

  • Abb. 5

Ablauf: Workshop Aktionstag „Tische bauen“

Für den Workshop mussten viele Vorbereitungen getroffen werden. Die Stationen wurden nach dem Plan (s. Abb. 6) eingerichtet. Jede Station wurde mit einer Stationsnummer, sowie einem abgegrenzten Arbeitsraum, einer Stationsbeschreibung und allem nötigen Werkzeug ausgestattet.

Das zu verwendende Material wurde an den Stationen vorbereitet. Teilweise musste es auch schon vorgefertigt werden, da die Studentent*innen z.B. die Tauchkreissäge ohne eine Einweisung und ausgebildetes Aufsichtspersonal nicht nutzen durften.

Diese scheinbare Einschränkung hatte jedoch positive Effekte auf den Prozess, dass in dem sehr engen Zeitrahmen des Workshops so gut wie alle Arbeiten erledigt werden konnten. Über den Zeitraum von ca. 4 Stunden wurde mit zwei verschiedenen Gruppen à 2 Stunden gearbeitet. Im Voraus wurde ein Prototyp des Tisches gebaut, um den Workshopteilnehmer*innen zuerst einmal das fertige Produkt vorzustellen. Dann wurde das Funktionsprinzip des „Zirkeltraining“ erklärt und in einem weiteren Schritt Gruppen gebildet. In den einzelnen Gruppen sollten die ca. 3-5 Personen verschiedene Rollen einnehmen und auch zwischendurch wechseln. Es gab ein bis zwei „Arbeiter“, einen „Polier“, der die korrekte Ausführung gewährleisten sollte und eine Person, die den Arbeitsprozess in Form von schnellen Skizzen, Notizen und Fotos dokumentiert. Durch den gesamten Aufbau des Workshops war gewährleistet, dass alle Teilnehmer*innen ohne Vorkenntnisse oder Erfahrungen am Prozess teilnehmen und Erfahrung sammeln konnten.

  • Abb. 6

Stationen: Auszug aus den Dokumentationen der Stationen

Station 2:
Messen/Sägen
Decklattungen

Trotz eingehendem Studieren der Stationsbeschreibungen können einzelne Tricks besser und schneller während des Arbeitsprozesses direkt an der Station gezeigt werden. So ergab sich etwa ein Aha-Moment für eine Studentin: „Japanische Sägen arbeiten auf Zug.

Station 5:
Montage/Konstruktion

Alle Fehler oder Verzögerungen im Prozess des Zirkeltrainings machten sich natürlich an der letzten Station am deutlichsten bemerkbar. Die Gruppe, die gerade an dieser Station arbeitete, musste oft auf Material warten und hatte dadurch kurze Leerlaufphasen. Diese wurden für die Kontrolle der bereits fertigen Tische und Bänke genutzt.

Funktion & Anwendung: weitere Einsatzmöglichkeiten

Diese „weiteren Aktivitäten“, die ein Student mit Verweis auf Easterlings Infrastrukturbegriff beschreibt, waren im modularen System der Konstruktion bereits angelegt und machten diese gleichzeitig erst möglich (siehe auch Konstruktionsbeschreibung). Hier sind nur einige Zusammenstellungen des Einzelmoduls (s. Abb. 7) aufgezeigt. Weitere sind denkbar und ermöglichen der Gruppe sowie dem Kunstverein immer wieder neue Nutzungsweisen.

Die beste Gebrauchsweise der Tische und Bänke für das Seminar war die des „runden Tisches“ (s. Abb. 8 & 9). Eine Kombination von 2-5 Tischen, je nach Größe der Veranstaltung zu einer Gruppe zusammengestellt, erlaubte es, das Seminar überhaupt im Kunstverein abzuhalten. Die Bänke wurden dazu aber oftmals durch Stühle ersetzt, damit mehr Student*nnen am Tisch Platz nehmen konnten.

„Der Kunst und dem Direktorium stehen ihre eigenen Räumlichkeiten zur Verfügung, doch den Mitgliedern blieb damals nur eine kleine Bank im Foyer. Dies änderte sich, als wir Tische und Bänke aus groben Hölzern zimmerten. Plötzlich blieben Menschen sitzen und blätterten in den Katalogen. Ein Seminar fand statt. Dem Gedanken dieser ersten Intervention folgend überlegten wir, welche weiteren Aktivitäten sich um diese Tische gruppieren könnten.“ Ein Seminarteilnehmer

  • Abb. 9

Funktion & Anwendung: weitere Gebrauchsweisen

Für eine Präsentation im Rahmen der beiden Interkulturellen Praxis Seminare (IKP I+II) wurden die Tische spontan hochkant aufgestellt, um sie so als Präsentationswand bzw. -stehle zu nutzen (s. Abb. 10 & 11). Diese spontane zweckgebundene Transformation ermöglichte eine weitere Form des Gebrauchs und zeigte wiederum das Spiel mit den Möglichkeiten auf, dieses System für verschiedene Zwecke nutzbar zu machen und den Möbeln immer wieder neue Nutzungen einzuschreiben.

  • Abb. 11

Dies zeigt z.B. auch die Kombination der Module als „lange Tafel“ (s. Abb. 12 & 13). Diese kann beispielsweise für ein gemeinsames Zusammenkommen/Fest genutzt werden. Für ein Seminar im universitären Rahmen war diese Kombination für diesen Standort weniger gut geeignet, da aufgrund der sehr hohen Raumhöhe im Foyer des Kunstverein in Hamburg die Akkustik sehr schlecht war. Dadurch konnten Studierende am einen Ende der Tafel nichts mehr von der Diskussion am anderen Ende mitbekommen.

  • Abb. 13

Resümee „Wir richten uns hier ein“

Mit dem programmatischen Titel einer der ersten Veranstaltungen des Seminars: „Wir richten uns hier ein: Tische und Bänke bauen“ (UD Lehrangebot 2014) startete der im voraus konzipierte Tischbau-Workshop
.
Der Tischbau-Workshop war in seiner Konzeption einerseits darauf ausgelegt, zügig ein Ergebnis zu erarbeiten, das die Seminararbeit ermöglichte, andererseits aber auch eine Arbeitsweise üben, die weit über den Tischbau-Workshop hinausgeht. Ganz zentral war deshalb der Prozess, durch den jede*r Student*in sich diesen Schritt selbstreflektierend als eine Erarbeitungsweise aneignen konnte. Durch das gemeinsame Errichten der Seminartische und -bänke sollte die geteilte Verantwortung des Gelingens des Seminars versinnbildlicht werden.

„Der Designer aktiver Formen entwirft die Abweichung, das Mittel, das die Organisation verändert, nicht das Feld in seiner Gesamtheit, sondern die Art und Weise seiner Abwandlung, die seiner Organisation immanenten Dispositionen.“ (Easterling 2010: 27) 1 Als so eine Abweichung verstanden wir auch die Tische im Foyer des Kunstvereins. Sie veränderten nicht nur die alltägliche Nutzung des Raumes, sondern gaben zu einer ganzen Reihe von Visionen für mögliche Weiterentwicklungen des Kunstvereins Anlass. Die materielle Form öffnete also einen virtuellen Raum, in dem es möglich wurde, Ideen wuchern zu lassen (...).“
-Ein Seminarteilnehmer

Mit der neuen zusätzlichen Möblierung haben wir eine neue Konstante in den Raum gebracht, die eine Auswirkung auf den Raum haben wird. Damit eröffnen sich viele Fragen. Welches Potential steckt in der Möblierung überhaupt? Wie kann/wird der Kunstverein in Hamburg diese neuen Objekte für seine Zwecke instrumentalisieren und nutzen? Zuletzt noch eine der wichtigsten Fragen an uns selbst: Wie wird dieser nicht universitäre Raum und der neu geschaffene Seminarplatz im Foyer des Kunstverein Einfluss auf unser Seminar, unsere Arbeit und unsere Diskussionen haben? Dies nur als Denkanstoß, mit welchen verschiedenen Blickwinkeln die Auswirkungen betrachtet werden können.
Im Fokus des Resümees steht aber nun eher der Ablauf des Workshops, sowie die Reflektion seiner Konzeption. Trotz des gut konzipierten und vorbereiteten Ablaufs des Workshops kam es zu Abweichungen. Einzelne Stationen kamen nicht so schnell voran wie anderen, da die Einarbeitung an den Werkzeugen länger dauerte als bei anderen Stationen, bei denen die Arbeitsschritte einfacher waren. Auch die geplante Ruhestation Station 6, die zur Erhohlung der geplagten Hände und Rücken dienen, sowie zur Essay Nachbesprechung dienen sollte, wurde kaum angenommen. Die Studierenden machten während der Stationen oftmals einfach so eine Pause, was den reibungslosen Ablauf störte. Insgesamt kamen die Studierenden an dem Tag aber mit einem solchen Tatendrang in das Seminar/Workshop, dass sie an der ihnen zugewiesenen Station oftmals nicht die Füße stillhalten konnten und bei anderen Stationen, an denen es klemmte, ausgeholfen haben. Somit haben diese Eigendynamiken der Teilnehmer*innen den Prozess schlussendlich prinzipiell sehr gut vorangebracht und ein erfolgreiches Ende des Workshops ermöglicht. Hier zeigte sich deutlich, dass die Gruppe bereit war zusammen anzupacken und das Seminar als gemeinschaftliche Unternehmung möglich zu machen.

  • Abb. 14

  • Abb. 15

Zum Schluss ein paar Überlegungen zum Gebrauch der Möblierung im Kunstverein. Die neuen Möbel waren nicht nur im Rahmen einer Intervention entstanden – das Foyer war einen ganzen Tag lang in eine Werkstatt verwandelt worden – sondern präsentierten auch in ihrem Gebrauch eine Abweichung, eine Störung des Foyers. Die Abbildung (Abb. 14) zeigt die alltäglichen vereinfachten Laufwege der Mitarbeiter*innen und Besucher*innen des Kunstvereins in Hamburg. Auf dem zweiten Grundriss ist dann der Standort der drei Tisch-/ Bankkombinationen zu sehen, an denen auch das Seminar stattfand (Abb. 15). Man könnte es mit dem Satz „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts!“ beschreiben. Die Gruppe von Tischen wurde an einer Stelle positioniert, die auch davor schon kaum „gebraucht“ wurde. Zudem sollten die anderen Tische und Bänke, falls sie im Seminar zusätzlich gebraucht wurden, nach der Veranstaltung immer wieder in das Lager des Kunstverein zurück geräumt werden. Der Alltagsabläufe sollten davon nicht gestört werden. Wollte man im Kunstverein eine reduzierte? Sollte das Seminar mit Studierenden, der Workshop, die Auseinandersetzung mit dem Foyer und seine Öffnung in die Stadt letztlich nicht eine Veränderung im Kunstverein bewirken?

  1. Easterling, Keller (2010): Die Aktion ist die Form. In: Derive Nr. 40/41, Understanding Stadtforschung, S. 25-31