Runder Tisch: Arbeit als sozialer Prozess ist eine Form des Commoning

Dominique Peck: Als Motiv – sozusagen als Orientierungshilfe – für dieses Round Table Re-design haben wir uns in der Redaktionsgruppe mit dem "Tätig-sein Urbanen" auseinandergesetzt. Anhand von drei Urban Design Studien, die jeweils ein Projekt in oder im Umfeld der Universität der Nachbarschaften dokumentieren, möchte ich diese Arbeit in der Vorbereitung nun zeigen und einige Aspekte daraus in die Diskussion mitnehmen.

Im Winter 2012/13, ein Jahr vor dem geplanten Abriss der UdN, arbeiteten die Studierenden im IKP, die Abkürzung steht für InterKulturelle Praxis, an "Restaurant Abenden". Diese Abende entwickelten sich aus den wöchentlichen Klassentreffen des Studierendenprojekts. Die Studierenden besprachen Projektstände beim Essen, luden Freunde und Nachbarn ein. Das Motiv im IKP war über die Veranstaltung der Restaurantabende das Projekt der Nachbarschaft zu öffnen, anzubieten. Wir wollten, dass im Frühling 2013, zur Eröffnung der Internationalen Bauaustellung Hamburg, ein Team aus der Nachbarschaft das Hotel Wilhelmsburg betreibt. Am Anfang stand eine Versuchsanordnung von Jan Holtmann und Bernd Kniess: a) die Studierenden müssen je Abend einen Koch und einen Musiker, eine Band anheuern; b) jeder Studierende muss einen Gast in die Universität der Nachbarschaften mitbringen.

Die Dokumentation der Studierenden über die Restaurantabende beginnt mit dem Satz "Hier versammeln wir, was wir zu Beginn des Projekts wussten, was wir im Nachhinein gelernt haben und was wir lieber im Vorhinein gewusst hätten". Zusammengefasst reflektiert die Dokumentation den Umgang mit Unbestimmtheiten als Quelle des Wissens. So zeigt die Untersuchung der Arbeiten an den einzelnen Abenden in Serie, dass das Kollektiv in der Wiederholung und Transformation einiger Abläufe der Vorbereitung und Durchführung praktischer wird und wieder auf neue Probleme stößt. Im Sinne des Don´t Do it Yourself Manifests (Auerbach 2013) bittet das Kollektiv andere dort zu helfen, wo es nicht angemessen ausgestattet ist. So zum Beispiel in der Findung einer Rechtsform, der Gestaltung einer für Unbestimmtheiten offenen und flexiblen Organisation, dem Aufbau und Erhalt von Beziehungen zu Lieferanten von Nahrungsmitteln oder Tontechnik. Auch Uwe Lübbermann in seiner Rolle im Premiumkollektiv und Tim Kistenmacher mit viel Praxis im Bereich Kulturmanagement waren als Experten in einer Situation Teil des Kollektivs – im Fokus stand stets der konstruktive Umgang mit Unbestimmtheiten.

Das Urban Design Thesis Project von Lene Benz beschäftigt sich mit Familienbetrieben in Wilhelmsburg. Aufgrund des Untersuchungsortes wurde die Arbeit zu einer Studie migrantisch geprägter Ökonomien. Ausgehend von der These, dass die Lokalisierung transnationaler Lebensbedingungen wirtschaftlich relevant und selten unidirektional ist, untersucht Lene das Verhältnis zwischen Wohnen und Arbeiten in Familienbetrieben. Das Verhältnis wird diffus, vor allem was die Organisationsform angeht. Sie beginnt ihre Arbeit mit Geschichte, beschreibt wie das "Hinterland" Wilhelmsburg ab Ende des 19. Jahrhunderts der Industrialisie-rung Raum gibt, wie Arbeiter Nichtdeutscher Herkunft sich in der Nähe der Fabriken niederlassen, wie von 1950 bis 1968 Deutschland Anwerbeabkommen zur Regelung der Zuwanderung mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei und weiteren Staaten beschließt, wie also das globale Wirtschaftswunder funktionierte und wie sich Deutschland gegenwärtig, also 2012, auch offiziell bemüht Einwanderungsland zu sein. Dabei zeigt Lene auch, dass das Versprechen des Urbanen für die Personen einfacher einzulösen ist, die in der Bewältigung von Interdependenzen Potentialitäten begreifen und bespielen können.

Die Arbeit das kommende Mahl, von Ben Pohl und Hans Vollmer, beginnt mit noch einmal Geschichte. Mit Bezug auf Erol Yildiz erzählen auch Ben und Hans davon wie Migranten andere Lebensstile zu den bereits vor Ort beobachtbaren hinzufügen und daraus Aushandlungsbedarfe entstehen.

Veränderung und Wandel schaffen nicht nur die Neuen, das war in der Geschichte nicht so und ist auch heute nicht so. In sich verändernden Kontexten wollen Menschen neue Bedürfnisse und Motive entwickeln und neu verhandeln.

Die Arbeit adressiert die kommende Gesellschaft bereits als eine ereignisbezogene Versammlung. Mit der Typologie des Imbissbetreibers untersuchen Ben und Hans wie sich angehende Imbissbetreiber mit den dafür notwendigen Kapitalien ausstatten. Der Katalog zeigt eine Bandbreite unterschiedlichen Praktiken der urbanen Kapazität mit unterschiedlichen Lebensstilen umzugehen.

Allen eben gezeigten Arbeiten ist gemein, dass die Studierenden versucht haben zu beschreiben wie Gesellschaft gerade macht, welche Herausforderungen, Schwierigkeiten und Kämpfe sie birgt und wer welche Strategien hat oder entwickelt damit umzugehen. Dabei steht das Tätig-Sein einzelner in einem Netzwerk von Akteuren aus Menschen und Dingen im Fokus der Forschung. Die Studierenden begeben sich in die Prozesse hinein und handeln forschend. Sie verstehen die Produktion des Urbanen, sprich der urbanen Gesellschaft, als einen ergebnisoffenen Prozess.

Tätig-Sein?
Um das Feld der Diskussion aufzuspannen, würde ich gerne mit zwei Perspektiven auf das Tätig-Sein beginnen. Zum einen mit Uwe: Im Premiumkollektiv bist du unternehmerisch tätig und hast zusammen deine bzw. eure Idee eines Unternehmens umgesetzt. Zum anderen würde ich gerne dich, Ben, dazu befragen warum und wie du dich gemeinsam mit Hans in euren Projekten mit ethnisch geprägten Ökonomien beschäftigt hast, und welches Wissen ihr in dieser Auseinandersetzung offen legen konntet. Aber zuerst bitte Uwe.

Uwe Lübbermann: Wir haben versucht den Betrieb eigentlich aufzulösen. Das heißt, der Betrieb besteht nicht aus physischen Ressourcen, die jemand hat, sondern wir wollen eigentlich alle, die von den Entscheidungen dieses Betriebes betroffen sind, zu gemeinsamen Entscheidungen einladen. Wir arbeiten an sehr vielen verschiedenen Orten, was die Überwachung der Arbeitszeiten unmöglich macht, wir vertrauen da also allen, dass das was sie auf die Rechnung schreiben auch stimmt. Daraus kam die Überlegung, dass man eigentlich oft Arbeit gar nicht sehen kann. Wir haben lange, lange diskutiert, ob wir unterschiedliche Lohnhöhen innerhalb des Kollektivs haben wollen. Und da haben wir 32 Faktoren, in einer wissenschaftlichen Arbeit von einer Soziologin gesammelt und in vier Kategorien aufgeteilt: Input, was man reinsteckt (Zeit, Anstrengung, Bildung vielleicht), Output, was rauskommt (geringe Zahl an Rechtsstreitigkeiten oder Flaschenzahl oder sowas), Bedarf (Wohnort, Land, Kinderzahl) und eine vierte Gruppe, die wir bewusst rauslassen, aber auf dem Radar behalten wollen, zum Beispiel das Geschlecht. Da ist ja immer noch das gender pay gap, dass eben Frauen in Führungspositionen immer noch weniger verdienen. So, und da haben wir diskutiert, und die Buchhalterin hat gemeint: "Also ich hab hier große Verantwortung. Meine Arbeit ist zwar nicht anstrengend, aber wenn ich was falsch mache, wird's teuer, also möchte ich dafür mehr Geld haben. Mehr Wertschätzung, mehr 'das Risiko' in Anführungsstrichen." Dann hat der LKW-Fahrer gemeint: "Also Mädchen, ich fahr hier 40 Tonnen. Und wenn ich die irgendwo gegen fahre, dann stirbt vielleicht jemand. Also möchte ich bitte - und außerdem bin ich dauernd unterwegs und muss auf Rastplätzen schlafen - also 'Nachteile ausgleichen' in Anführungsstrichen." Da hat der Abfüllbetrieb gemeint: "Also Leute, wenn ich keine Flaschen mehr mache, dann könnt ihr halt auch nicht buchhalten und auch nicht fahren, also möchte ich bitte mehr." Und dann hat tatsächlich der Leergutsortierer, der nur die Kisten und Flaschen sortiert, gesagt: "Wenn ich nicht ordentlich sortiere, hält deine ganze Anlage an."

Und daraus ist für uns so ein Begriff geworden, dass wir eigentlich - abgeleitet aus der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Menschen – das ist bei uns so das Kernmotiv – wollen, dass Arbeit möglichst gleichwertig entlohnt wird.

Und wenn wir über Lohn reden, dann ist es so, dass wir einen Einheitslohn haben, 16 Euro brutto, allerdings mit zwei Ergänzungen: Wer Kinder hat, bekommt mehr, und wer eine Behinderung hat, bekommt mehr, nach Behinderungsgrad. Aber eben nicht nach Zentralität der Rolle, nach "Ich bin der Gründer / der Inhaber" oder sowas. Und dann haben wir - das ist mein letzter Punkt - eigentlich fünf Löhne, wenn wir das so konsequent mit allen machen: Wir haben den finanziellen, damit die Leute davon leben können, das braucht man, klar. Wir haben eine relativ weitreichende Sicherheit, weil wir mit 1.680 gewerblichen Partnern arbeiten. Wenn da einer wegfällt, ist das nicht gleich schlimm, anstatt mit drei Großhändlern zum Beispiel, wenn da einer wegbricht, dann hat man ein großes Problem. […] Wir wollen den Leuten sehr weitreichende Freiheiten bieten. Also wie sie aussehen, was sie sagen, wo sie arbeiten. Unsere Buchhalterin ist unterwegs nach Spanien, die arbeitet vom Wohnmobil aus. Find ich super, dass sie das machen kann. Der vierte Punkt wäre sowas wie Erfüllung, dass man das Gefühl hat, was Sinnvolles zu machen. Also da eingreifen, wo der Kapitalismus von selbst nicht ordentlich funktioniert. Und der fünfte Punkt ist letztlich Reichweite für Ideen. Dass man eben rumfährt und eingeladen wird und seine Vorstellungen von besserer Wirtschaft erzählen kann. Aber das ist dann eben die Frage, ob das jetzt wieder Arbeit ist und wer das dann bezahlen soll und so weiter. Also da löst sich ganz viel auf, was man normalerweise eben im Unternehmen hat. Da gibt es also einen Arbeitsauftrag und der muss dann fertig sein und das ist der Lohn dafür und ich bestimme das. Und genau das wollen wir nicht mehr haben. Und dadurch hat sich der Arbeitsbegriff für uns anders aufgeladen.

Dominique Peck: Danke, dieser Einstieg öffnet das Feld Arbeit sehr gut. Ben, du hast dich zusammen mit anderen Studierengen in mehreren studentischen Forschungsprojekten an der UdN ebenfalls mit dem Begriff der Arbeit beschäftigt. Wie habt ihr operationalisiert?

Ben Pohl: Sagen wir so, wir sind jetzt nicht explizit in dieser Arbeit auf den Arbeitsbegriff von der Auseinandersetzung eingegangen. Aber was sich rauslesen lässt und was man auch über eine andere Arbeit, über ein Seminar, was wir - Bernd und ich - mal gemacht haben, videografisch zum Begriff der Arbeit vielleicht zusammenfassen können, ist, dass der Begriff an vielen Ebenen, gerade in Wilhelmsburg, in Bewegung ist. Dass also diese Trennschärfe, die klassische zwischen Lohnarbeit und Freizeit überhaupt nicht mehr so identifizierbar ist. Und dass für ganz unterschiedliche Tätigkeiten dieser Begriff genutzt wird, also die Arbeit, die Frauen mit ihren Kindern leisten, wird zum Teil von ihnen wirklich direkt und explizit als Arbeit bezeichnet, obwohl sie diesen gleichen Begriff der Arbeit für ihre Lohnarbeit benutzen, die sie vor der Kinderzeit hatten, und dann darüber reflektieren, in welcher Weise welche Arbeit jetzt anstrengender oder mehr beachtenswert wäre. Auf der anderen Seite hat man Leute, die das nicht so sehr reflektieren oder anders reflektieren und sagen "Nein, eigentlich ist für mich, zum Beispiel mit den Kindern, das ist Freizeit, und der Job, den ich hier an der Bar mache, der macht mir Spaß, von daher ist er eigentlich keine Arbeit." Also man merkt, das löst sich an ganz vielen Stellen auf und es löst sich auch diese Trennschäre zur Freizeit zum Beispiel auf. Also man weiß gar nicht mehr, wo fängt das eine an, wo hört das andere auf. Was dazu kommt, ist, dass gerade bei den von uns untersuchten Akteuren natürlich das ganz explizit wird, weil oft auf das "Familienkapital" - haben wir das codiert - zurückgegriffen wird, das heißt die wirklich direkten Familienangehörigen und die im erweiterten Kreis sind am Betrieb dieser gastronomischen Einrichtung beteiligt. Man versucht also fast 24 Stunden offen zu sein und das kann man nur über eine familiäre Source machen. Da laufen sogar teilweise Mischkalkulationen, dass einer der Familienmitglieder eben auf dem Bau arbeitet und das Geld, was er auf dem Bau erwirtschaftet in das Restaurant mit hinein steckt, weil das Restaurant vielleicht nicht geht oder was kaputt gegangen ist, was die Arbeit im Restaurant nicht hervorbringt. Aber man hält dann in diesen Mischkalkulationen auch über Jahreszeitenwechsel eigentlich so ein Gesamtniveau aufrecht, was es der Familie ermöglicht zu überleben. Und das sind sehr oft sehr anstrengende Arbeitsverhältnisse, die man dort trifft, wo auch die Kinder teilweise ihre Ausbildungen abbrechen müssen oder auch freiwillig nach dem Studium wieder in den elterlichen Betrieb zurückkehren, obwohl sie Anglistik und andere akademische Abschlüsse haben, dann am Ende doch die Gastronomie der Eltern übernehmen. Ja, also das merkt man gerade bei den Betreiberfamilien mit Migrationshintergrund, dass diese Tendenz dieser Familienbindung sehr stark ist.

Uwe Lübbermann: Ich würd gern das "Mischkalkulation" kurz aufgreifen und noch was ergänzen, denn wenn wir einen Einheitslohn haben, dann kann man nicht aufsteigen oder mehr verdienen durch mehr Leistung. Und das war auch schon ein Kritikpunkt, ne? Weil dann ist ja der Anreiz weg, würde man denken. Und die Leute, die leistungsfähig waren, haben das auch beklagt, aber ich kann ja hier nicht mehr verdienen, wenn ich gute Leistung bringe. Und das war für uns der gedankliche Schritt zu sagen, eigentlich wollen wir nicht eine Leistungsorientierung haben, wir wollen das Unternehmen als soziale Einheit begreifen, egal wie intern-extern die Leute sind. In dem Sinne, dass Leute, die nicht so leistungsfähig sind, die vielleicht - weiß ich nicht - die Ressourcen mental nicht haben oder die einfach schon 60 sind oder irgendwas, dass die einfach das gleiche Auskommen haben sollten. Und auch die Leute, die mit 19 frisch anfangen, die brauchen auch das Auskommen. Das heißt, wir haben im Prinzip sowas versucht wie ein Familienbetrieb zu machen, wo dann doch alle irgendwie ihr Auskommen haben, auch wenn der Einzelne mal nicht so leistungsfähig ist. Und wie man das dann nennt, also damit kann ich gut leben, das ist dann Aufgabe der Wissenschaft. Wir machen es und ihr müsst dann gucken, wie es heißt. (Schmunzeln)

Tim Kistenmacher: Darf ich eine Frage in Ergänzung...? Das hört sich ja alles wunderbar an und vor allen Dingen ist es sehr klug, wie ihr damit umgeht. Es bleibt für mich die Frage offen: Was macht ihr mit Überschüssen, mit Gewinnen? Fließen sie bei dir in die Tasche und du sagst dir: "Ich hab das richtige Modell gefunden und alle sind glücklich und zufrieden, aber abschöpfen tu ich halt."

Uwe Lübbermann: Nee, das würde ja der grundsätzlichen Idee von Gleichwertigkeit von Menschen widersprechen, wenn ich dadurch sozusagen mehr verdienen könnte, nur weil es mir gehört.

Tim Kistenmacher: Ja, also du kriegst 16 Euro?

Uwe Lübbermann: Exakt.

Tim Kistenmacher: Ok. Das ist gut. Und... Aber jetzt der nächste Schritt: Was macht ihr mit den Überschüssen?

Uwe Lübbermann: Ein Unternehmen hat ja nicht automatisch Überschuss und da fängt's schon mal an. Aber wenn sie da sind, dann muss man drüber sprechen, wie man sie verwendet. Also wir haben über die 13 ein halb Jahre vier mal den Preis gesenkt, freiwillig. Wir haben auch Löhne erhöht, mehrfach. Wir hatten auch mal 10 Euro vor ein paar Jahren, und 13, 14, 15... Und wir haben auch Geld zurück gelegt für Investitionen, für Leergut und so weiter...

Tim Kistenmacher: Also das klassische Modell, dass das im Betrieb bleibt, der Überschuss, um nicht an Shareholder und so weiter mit anderen wirtschaftlichen Interessen ausgekehrt wird.

Uwe Lübbermann: Wir haben das so formuliert: Niemand sollte mehr bekommen, weil er irgendwas ist oder irgendwas hat.

Tim Kistenmacher: Ok.

Uwe Lübbermann: Auch nicht Eigentum an Produktionsmitteln oder der Marke oder sonst was.

Tim Kistenmacher: Gefällt mir sehr gut.

Uwe Lübbermann: Ok. Es hat auch Nachteile, da komm ich bestimmt noch dazu. (Gelächter)

Dieter Läpple: Also ich käm vielleicht nun mal auch dazu jetzt zum Arbeitsbegriff... (Gelächter). In meiner Denkwelt beginne ich zunächst ganz elementar, also Arbeit als elementarer Stoffwechsel des Menschen wie der Natur. Also gerade weil mir die Materialität so bedeutsam ist in einer Welt, in der das Materielle zu verschwinden droht oder zumindest an Aufmerksamkeit verliert. Aber gleichzeitig eben auch als die elementare Form der Vergesellschaftung - also insofern Commoning und als Prozess der Identitätsbildung. Jetzt geht es mir gewissermaßen darum zu betrachten, wie dieser Prozess nun überformt wird durch beispielsweise kapitalistische Organisation der Arbeit, wo Arbeit reduziert wird auf eine abstrakte Lohnarbeit, wo im Grunde genommen all diese Bedeutungen, sich entweder verlieren oder im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeit an einzelne Funktionsträger zugewiesen werden. In unseren Forschungen haben uns die vielfältigen Entgrenzungsprozesse interessiert, mit denen wir gegenwärtig konfrontiert sind. Das ist das, was wir so als vererbten Taylorismus, fordistische Organisation im Kopfe haben. Wie findet das als neue Formen der Entfunktionalisierung / Entdifferenzierung statt und vielleicht auch als eine Anreicherung, also eine Wiedergewinnung, Commoning stattfindet.
Ihre Erzählung hat mich an unsere Studie erinnert, die wir mal über lokale Ökonomie gemacht haben, wo wir - jetzt mal ganz simpel - die vielfältigen Formen lokal eingebetteter Wirtschaften unterschieden haben, zwischen abstrakten Gesellschaften - das wäre jetzt vielleicht der traditionelle, ja der Filialbetrieb, der noch sehr strikt diese Lohnarbeit hat, wo er eben die Frage von Lohn, klar, das ist letztlich der Reproduktionswert der Arbeitskraft, wo er dann eben mit der Qualifikation eingeht, aber gemessen wird's meist über die Outputdimension, über die Leistungsdimension. Das ist immer wieder rückgekoppelt. Dann die Gemeinschaft, das wäre jetzt der Familienbetrieb, was gerade angesprochen worden ist, wo wir es intern mit vielen Entgrenzungen zu tun haben, nach außen meist ne relativ rigide Einbettung, weil man überleben muss. Und als dritte Form die Partnerschaften. Wobei eben das das genau das Modell, das Sie darstellen quasi die idealtypische Form der Partnerschaft wäre. In unseren Studien ist immer deutlich geworden, dass diese Partnerschaften, in der Regel, schon eine relativ hohe Expertise voraussetzen, damit sich diese Partnerschaft halten kann, gewissermaßen als eine Insel, in dieser, ja, noch sehr durch Verwertungszwänge geprägten Welt, mit den ganzen fest geprägten Rollenmustern. Also die Intention jetzt Gendergerechtigkeit auszuführen oder die elementare Einsicht, die Gleichwertigkeit der Menschen, auch in der inneren Organisation des Arbeitsprozesses durchzusetzen, setzt in der Regel eine gewisse - ich will jetzt nicht sagen Exklusivität der Expertise, aber doch, der Expertise voraus, die sich dann im Markt behaupten kann. In der empirischen Untersuchung kamen wir schließlich zu dem Resultat, dass Typologien oft in Bewegung sind. Oft ist 'Gemeinschaft', das hört sich gut an, aber vielfältig sehr hierarchisch organisiert, oft über das Meisterprinzip oder über das Patriarchat beim Migrantenbetrieb. Bei der Partnerschaft gibt es vielfach Phasen sehr egalitärer Organisationsansätze, die aber dann in gewissen Lebenszyklen des Betriebes, da immerhin die Gefahr liefen, wieder in hierarchische Prinzipien zurück zu fallen oder patriarchalische Prinzipien, also mit anderen Worten, es sind immer Spannungsfelder, es sind immer Versuche, die geprägt sind durch eine dominante Marktlogik deren Frage ist: Wie weit kann man der entgegenwirken? Und was mich eben besonders interessiert, warum mich jetzt eben gerade lokale Ökonomie und urbane Manufaktur so besonders interessieren, sind unter anderem folgende Fragen:

Schaffen wir es, sowas wie Inseln jenseits eines kurzfristig intendierten angelegten Verwertungszwanges zu organisieren, in denen sowohl gewissermaßen die Frage der menschlichen Organisation nach dem egalitären Prinzip da sind, aber auch Formen der Nachhaltigkeit zu realisieren und eine Form der Produktion zu initiieren, wo dann auch ein völlig neuer Bezug zu den Konsumenten entsteht. Dass die Konsumenten eben nicht auf den Preis schauen, sondern auf die Frage, wer produziert, wie, mit welchem Materialien, mit welchen Konsequenzen.

Uwe Lübbermann: Das ist ein separater Wettbewerb. Da ist der Preis dann gar nicht mehr so relevant.

Dieter Läpple: Wie gelingt es quasi, eine Neubestimmung des Konsums, ein neues Verständnis vom Konsum zu verknüpfen mit einer neuen Organisation der Arbeit? Und das wäre dann für mich jetzt so ein Commoning, was sich aber dann zunächst inselhaft etabliert, möglicherweise stabilisiert und sich als Beispiel propagiert.

Bernd Kniess: Aber wäre das in dem Sinne nicht eigentlich eine Insel, was Uwe Lübbermann...

Dieter Läpple: Also für mich ist es zunächst eine Insel, ja, aber eine Insel des Beispiels.

Bernd Kniess: Ja, aber das, was ich interessant finde, ist - also du sagst, hier wäre ja ein hoher Grad an Expertise notwendig, um überhaupt so etwas zu bewerkstelligen. Meine Frage daran ist - das hat auch etwas zu tun mit einer Form der Übereinkunft zu tun, also mit allen Beteiligten, also wie vermittle ich die Werte, die ja nicht irgendwoher kommen, die sind ja erarbeitet. Wie komme ich zu den Regeln, die du jetzt sehr schön und kompakt beschrieben hast? Es ist ja lange Arbeit, die dahintersteckt, und wie kann ich das halten? Wie findet Transformationsleistung statt – auch als Vermittlungstätigkeit.

Uwe Lübbermann: Das ist ja meine Hauptrolle, sozusagen, also da kann ich eigentlich mit einem Beispiel von unserem Bierbrauer anfangen - das hab ich auch erst seit ein paar Wochen verstanden: Der ist in einem 1.000-Einwohner-Dorf - lokaler Zusammenhang -, und arbeitet dort und lebt dort, und muss natürlich seine Umwelt einigermaßen schonen, sonst hat er in zwei Jahren keinen Hopfen mehr und keine Gerste, um sein Bier zu machen. Dann muss er das Soziale bekümmern, also sich ordentlich benehmen, sonst hat er einen schlechten Ruf, wird sein Bier nicht los. Und er muss natürlich auch für sich selbst ausreichend Geld einrech-nen, aber auch nicht zu viel, sonst hat er eben auch zu teures Bier, zu schlechten Ruf und so weiter - also die drei Bereiche der Nachhaltigkeit, sind für den ein alter Hut. So, jetzt haben wir's aber in der Welt mit einer überregionalisierten bis globalisierten Wirtschaftswelt zu tun, wo man vermeintlich Wirkungen seines Tuns outsourcen kann. Und das kommt dann zwar irgendwann zurück durch Klimawandel und so weiter, und durch Flüchtlinge, die dann an den Grenzen ersaufen, aber letztlich erstmal kurzfristig betrachtet, sind Menschen glaube ich auch nicht in der Lage, langfristige Wirkungsbezüge und komplexe Wirkungsbezüge zu überschauen - kann ich ja selber nicht -, dass man also dazu geneigt ist, das outzusourcen.

Was wir versuchen, ist die Beteiligten so zu behandeln, als wären wir in einem Dorf, wo alles, was man macht, sich auf den Nachbarn eben auswirkt, und da muss man eben mit dem reden, wenn man was ändern möchte, wenn man irgendwie was tun will.

Und dann ist, glaube ich, weniger die Expertise das Entscheidende - die braucht man auch, natürlich, dass jeder in der Kette da seine Rolle ausfüllt -, es ist eher das Loslassen und die Wirkungsbezüge nicht mehr steuern, sondern nur die Grundidee vermitteln und moderierend dabeistehen, und wenn's krieselt, vielleicht so ein bisschen, aber ganz vorsichtig, weil das sind ja alles Menschen, denen man nicht sagen will auch letztlich. Und wenn das gelingt, dann ist der Wettbewerbsvorteil über das Fehlen von Dingen, nämlich das Fehlen von Auseinandersetzungen, Rechtsstreitigkeiten, Druck, Ärger, Schlägereien - auf's Dorf betrachtet. Und das macht es dann letztlich, glaube ich, doch effizienter, obwohl das gar nicht der Plan war. Und das fand ich bei dem Projekt hier auch so gut, dass da von Anfang an der Plan war, eben die lokalen Zusammenhänge mit einzubauen. Der gleiche Ansatz im Prinzip.

Dieter Läpple: Effizienz und Qualität oder wie könnte ich jetzt die Existenz über die Absicherung verstehen?

Uwe Lübbermann: Ich würde es als ein Dorf bezeichnen, in dem...

Dieter Läpple: Also soziale Effizienz würde ich vielleicht erstmal..., also keine technische Effizienz.

Uwe Lübbermann: Auch die. Also wenn wir den Partnern die Gelegenheit geben, selbst ihre eigenen Rollen zu steuern, anstatt Termine für Produktion vorzugeben und für Lieferungen vorzugeben, dann können die das besser, also da ist das Kompetenzthema schon vorhanden, also dann können die das besser organisieren als ich das für sie entscheiden könnte. Ich muss nur einen Weg finden, dass sie nicht versuchen, das auszunutzen.

Tim Kistenmacher: Aber nach meinem Verständnis vielleicht, also Henne und Ei, würde ich jetzt dazu tendieren, dass der erste Schritt die der soziale Input, das ökonomische Miteinander die Grundlagen sind, dann für später Marketing, Technik, Vertrieb, alles, was dazu gehört, aber das Ei, wenn ich so das formulieren darf, das du da gelegt hast, ist über eine soziale Kompetenz, Produktionsform mit einer Nachhaltigkeit entwickelt, die mal weg sind in erster Linie von der Auseinandersetzung, wir kriegen Profit und wer nutzt wen aus. Und das leuchtet mir ein. Ich hab sowas ähnliches mal verfolgt bei Bionade. Und mit Bionade, die sind ja inzwischen verkauft, aber mit dem hab ich mir in der Kunsthalle ein ziemliches Battle geliefert über Marketingstrategien, also wir als Traditionsmarke und er als Newcomer, und da sind wir an sich auch bei ihm, also was uns auch gleich kam, ist einfach die, die Verankerung in bestimmten Systemen, also wir in unserem traditionellen Publikum und er mit seinen Lieferanten, mit seinen Bauern, mit gewachsenen Handwerkstraditionen - wie kriegt man das zusammen, um etwas neues Innovatives zu machen? Ist endlich gewesen, aber in der Phase war das...

Uwe Lübbermann: Das würd ich mit einem Wort beantworten: langsam.

Tim Kistenmacher: Ja.

Uwe Lübbermann: Und der Grund, dass die das verkaufen mussten, war, dass die zu Anfang zu schnell gewachsen sind.

Tim Kistenmacher: Richtig. Das ist richtig.

Ben Pohl: Was ich ganz interessant finde und was hier auftaucht, Dieter, du bist auf den Konsumenten eingegangen, du hast gesagt: eine andere Rolle des Konsumenten. Und bei euch ist es glaub ich so, dass ihr den Konsumenten auch ganz anders versteht. Also dass diese klassischen Rollenzuweisungen - der eine produziert, der andere konsumiert - so gar nicht mehr aufgehen. Das heißt, man bezieht den Konsumenten eigentlich mehr in diese Gesamtstruktur der Produktion ein. Das war ja auch etwas, das wir beim Hotel versucht haben, dass man also alle Akteure, die in irgendeiner Form damit zu tun haben, eigentlich zusammen denkt und erstmal symmetrisch denkt, ohne dort eine Hierarchie einzuführen oder zu sagen: der eine kommt nach dem anderen. Und ein zweiter Punkt, den ich sehr interessant jetzt in deinem Ansatz auch fand, ist, dass man den Experten, die in ihrem Feld die Experten sind, dieses Expertentum auch zugesteht, ohne zu sagen: "Ich weiß besser, wie's geht und ich zwing dich!" Und diesen Ansatz erstmal mit dieser Frage heranzugehen "Was können die Akteure überhaupt? Was haben sie für Potenziale?" und erstmal zuzuhören, das waren auch immer die Versuche unserer Forschungsarbeiten. Also zunächst erstmal alle in ihrem Alltagswissen als Experten anzusehen und nicht als defizitäre ökonomische Akteure, wie wir es nämlich auch haben in Teilen der Wirtschaftsförderung, die dort in Wilhelmsburg lokal aktiv ist und wo es dann heißt: "Ja, die wollen sich ja alle nicht helfen lassen, dann sind sie halt selber schuld, wenn sie nach fünf Jahren wieder pleite sind." Wenn ich mit dieser Haltung rangehe, glaube ich, werd ich nie wirklich was erfahren, da öffnet sich keine Tür. Und dieser Versuch, das umzukehren, erstmal respektvoll zu sein und zu sagen:

"Wir kennen euch nicht, wir wissen nicht, ihr seid hier die Experten",

ist glaube ich ein Unterschied. Wenn man auf diese Art und Weise heran geht, dann lassen sich vielleicht diese Inseln oder Kollektive auch anders stabilisieren.

Dieter Läpple: Ja, da geht mir so durch den Kopf... also ich arbeite auch in ganz anderen gesellschaftlichen Kontexten, in in Äthiopien, wo wir ein Experiment angestoßen haben, wo die Bauern ihre eigene Stadt bauen. Das gelingt nur, wenn man die Leute in ihrer Expertenhaftigkeit gewinnen kann.

Das Schlüsselproblem, ist, was wir jetzt in dem Terminus Ownership benennen, dass die Leute sich das selbst zu eigen machen. Und das ist eigentlich das allerschwierigste und das ist das A und O der ganzen Geschichte. Wie gelingt es Leuten ein Projekt zu ermöglichen?

Wenn das gelingt, dann können sie sich behaupten, gegenüber - also dann ist es nicht mehr nur die Expertise, sondern dann ist es ein Vorteil, den man hat, wo dann ein alternativer Organisationsansatz Bestand haben kann. Also ich hab während wir da in Äthiopien aktiv waren, Anna Karenina gelesen und da schrieb Tolstoi auf eine wunderbare Weise, ich weiß es nicht mehr, ich glaub von dem Konstantin Levin, dem Großgrundbesitzer, der da versuchte, seine Leibeigenen zu organisieren, und der fährt auf dem Weg zum Markt immer vorbei bei freien Bauern. Und er kommt aus dem Staunen nicht raus, was denen gelingt. Er möchte unbedingt das Geheimnis rauskriegen. "Was macht ihr, damit eure Felder so gut aussehen?" Und das ist irgendwie genau das: es ist Ownership! Ja?

Bernd Kniess: Ich glaube, das lässt sich dann nochmal steigern, wenn - du sagst jetzt Ownership, was wieder auf das Eigentum rekurriert. Ist es materielles Eigentum oder ist es möglicherweise ein geistiges Eigentum? Bei dem Projekt ist ja schön, es ist eigentlich die Identifikation mit einem Projekt oder ich mach das Projekt zu meinem eigenen. Das heißt, wie schaffe ich es - das ist auch das, was wir uns fragen, wie schaffen wir es sozusagen von dieser geschlossenen Form, die ja Stadt erstmal ist, sie zu öffnen, also in eine offene Struktur zu überführen, die aneignungsfähig oder aneigenbar ist?

Janna Wieland: Bezogen auf den Zeit Aspekt wollte ich hier noch daran erinnern, dass die UdN ja von Anfang an begrenzt war. Und dann saßen wir da zusammen - ich war damals auch in der Runde dabei mit Uwe Lübbermann und Tim Kistenmacher - und da hat man sich dann überlegt "Ok, das Konzept könnte so laufen" oder man könnte zum Beispiel einen Verein gründen oder man könnte sich andere Strategien überlegen, wie das funktionieren könnte. Gleichzeitig liefen dann schon permanent daneben diese Restaurantabende als Versuchsaufbau, und dieser Punkt dieser Identifikation, ich glaube, dass das mehr Zeit gebraucht hätte. Dass das so von der Idee her erstmal - natürlich gab es Ideen und es gab Konzepte und es wurde versucht, Ideen zu adaptieren, aber in dem kurzen Zeitraum konnte gar nicht die Identifikation sozusagen in dem Maße passieren, die es für die Weiterführung gebraucht hätte.

Tim Kistenmacher: Vielleicht als Ergänzung, weil das ist genau auch meine Wahrnehmung, wenn ich mir das Gängeviertel anschaue. Also Identitätsbildung. Ownership. Also immaterielle Ownership. Was das aber bei den Akteuren voraussetzt, ist eine unwahrscheinliche Leidensfähigkeit. Das zu erarbeiten, das durchzustehen, das also auch immer kompatibel zu machen; es gibt ja existenzielle Bedürfnisse, es gibt ideologische Bedürfnisse, diese ganzen Mixturen und so weiter - da denk ich mir manchmal "So ein wunderbar hierarchisch organisiertes Unternehmen, es ist doch einfacher. Und es ist doch alles klar." Vermeintlich klar, und so weiter. Wenn ich dann wiederrum das alles reflektiere, glaube ich, dass wir auch in der gesamten Ausbildungssituation - klassische Betriebswirtschaft, klassische Finanzwirtschaft, Architektur und so weiter - hat sich da weiter entwickelt. Da muss man aber wirklich nochmal ran und sagen "Also alles, was... also was produzieren wir da eigentlich für Menschen? Mit welchen Ansprüchen, mit welchen Zielsetzungen?" Wären die in der Lage an sich - sagen wir mal - das, was du dort gedanklich hast, was ihr vereinbart, in einer Form zu bilanzieren oder was weiß ich nicht alles, nicht? Also da... Und dafür ist so eine UdN oder solche Projekte einfach so unwahrscheinlich toll, einfach mal zu zeigen: Das sind noch Ansätze, das sind noch Wege und warum lernen wir nicht von anderen Nationen, Kulturen und so weiter. Was können die an sich ein bisschen besser?

Uwe Lübbermann: Darf ich dazu was sagen? Ich würde gern die Leidzwänge in Geduld umtaufen...

Tim Kistenmacher: Gut. Ok. Ok.

Uwe Lübbermann: ...und einen kleinen "Trick" in Anführungsstrichen, wie uns das, glaube ich, ganz gut gelingt, sowas wie die Identifikation vorzubereiten. Wir laden ein, das ist sozusagen die Grundlage, das habt ihr auch gemacht - "alle Nachbarn, bitte kommt" - das ist also der entscheidende Schritt, aber dann haben wir ganz gute Erfahrungen damit gemacht, die Argumentation umzudrehen. Also nicht zu kommen, mit dem, was wir philosophisch damit vorhaben, warum wir das machen und so weiter, sondern mit den konkreten Vorteilen anzufangen. Weil, bei den meisten Menschen ist das einfach der Zugang. Spannen, Liefergebiete, Garantien und so weiter, oder in euerm Fall vielleicht Nachbarschaftskontakte, Hilfe im Krisenfall, Bohrmaschine teilen - also konkrete Vorteile, sozusagen. Und dann muss das funktionieren, also das Wirkungsversprechen muss eingehalten werden im Prinzip, und danach kommt das andere ziemlich automatisch. Dass das da angenehm ist, da zu essen und dass man dadurch gesünder auch isst und dass es irgendwie netter ist, so, also für die nächste UdN sozusagen. Also das umdrehen: Vorteile erst - das habt ihr vielleicht sogar gemacht, weiß ich nicht - und danach das menschliche Innere Verstehen.

Ben Pohl: Ich glaube, also... In diesen unterschiedlichen Prozessschritten, in dem Hotel vor allem, aber auch in diesen kleinen Forschungsarbeiten sind bei mir ganz unterschiedliche Punkte hängen geblieben, die dieses Aneignen ermöglichen. Es geht in den meisten Fällen eigentlich um Situationen, in denen sich sozusagen diese Haltung ändert. Das eine wäre "Interesse". Wie bekomme ich Interesse daran, also dazwischen sein zu wollen, Teil sein zu wollen? Gab's bei uns ganz viele Fälle, wo man eigentlich - in denen wir nur getan haben was wir sowieso vor hatten: den Restaurantbetrieb, eine Hütte gebaut und so weiter. Und dabei sind wir auch gescheitert und haben uns dilettantisch angestellt. Dann kucken die Nachbarn uns beim öffentlich sichtbaren Scheitern zu. Und dann kamen welche und haben gesagt "Komm, gib mir mal." oder "Ich hab da noch..." Und mit diesem Schritt, dass man niemanden erstmal zwingt, aber das auch zulässt, sind die Leute schon dabei. Und immer wieder zu suchen: "Wo kann ich eine Situation schaffen, die das irgendwie ermöglicht."
Ein zweiter Punkt, der dabei ganz wichtig ist, ist eben diese offene Form. Das Verhältnis von Gast und Wirt in unserer Arbeit entstammt einer Figur von Michel Serres: im Französischen l'hôte, ist Gast und Wirt in einem Wort – Eine Verbindung, die sich wie eine Kippfigur immer wieder ändert. Und wenn man das auf sich selbst anwendet in dieser Rolle, dann bist du auf einmal Gast in diesem Ort, du bist da zwar Bewohner, du hast die Schlüssel in der Hand und hast auch Verantwortung, dann kommt aber eine Gruppe, die dort kocht und dann wirst du Gast an diesem Tisch. Das heißt, du musst immer wieder ein Fragilwerden zulassen – nicht absichern, nicht Sicherheit durch Blockade, durch Zäune aufbauen und zu sagen "Meins! Mein Jägerzaun und da bist du und hier bin ich", sondern das in diesem Prozess halten, was natürlich eine Wahnsinnsverantwortung ist, immer das Risiko nach innen zu kollabieren oder nach außen zu explodieren hat.
Und ein dritter Punkt, der mir noch sehr bewusst geworden ist in diesem Hotelprozess, gerade im Restaurant und auch in der Gastroforschung, sind die nicht abgeschlossenen Verträge. Die urbanen Verträge sind 1 Euro oder 1 Euro 50 gegen eine Flasche Premiumcola. So. Damit sind wir asozial. Weil, wir haben alles gedealt, was wir haben, wir sind nicht mehr sozialisiert. Ich und der, der mir die Flasche verkauft, wir haben keine Beziehung mehr. In dem Moment, wo ich eigentlich andere Verträge einführe, wie sie oft noch in ländlichen Regionen üblich sind - "Ich geb dir erstmal die Flasche. Und dann gucken wir mal." - wo sich der Städter sträubt und sagt: "Will ich vielleicht gar nicht, wer weiß, was der dann von mir will.", das lieber abschließen will, lieber in simmelscher Blasiertheit sagen will: "Hey, es reicht mir, wenn wir... so viele Kontakte kann ich gar nicht binden." Das ist bewusst geworden bei der türkischen Köchin, die wir eingeladen haben. Die sagte, sie will kein Geld. Und der türkische Erasmusstudent Melih sagte dann: "Naja, wir müssen sie jetzt überschenken, also wir müssen ihr ein viel größeres Geschenk machen - aber erst ein bisschen später." Und dann hat man sozusagen diese Bindung auf längere Zeit eigentlich als Gabe und Gegengabe nie direkt kalkuliert, sondern als langfristige, fast wie eine Choreografie betrachtet. Indem man sich annähert.

Tim Kistenmacher: Wie in einem Dorf, im Prinzip.

Ben Pohl: Genau, wie in einem Dorf. Und dass man diese, also dass... Und das sind sicher... da gibts noch hunderttausende andere.

Dominique Peck: Warum passt der Begriff des Dörflichen?

Dieter Läpple:

Ich bekomm dann auch ein Unbehagen mit dem Dörflichen. (Gelächter)

Das wäre ja auch eher der Gemeinschaftstypus, nicht, das Dörfliche, und nicht der Partnerschaftstypus. Also dieses Egalitäre könnte ja auch eine Produktivkraft des Urbanen sein, und für mich ist eben, und es ist auch wirklich so, das Elementarste des Urbanen ist die Offenheit für Fremde. Und das ist für mich die Produktivkraft und also das ist letztlich die Kernqualität der Stadt. Und die Kernqualität des Dorfes ist gewissermaßen die Solidarität der Gemeinschaft. Aber die basiert in der Regel auf Ausschlussmechanismen, bewusst oder unbewusst. Und da eben die Partnerschaft quasi die Grenzen selbst immer wieder neu aushandelt und definiert kann sie sich ja immer wieder öffnen. Wohingegen sie bei der Gemeinschaft sie in der Regel kulturell vorgegeben ist, und viel schwerer zu Handhaben ist, und das ist für mich die besondere Qualität des Urbanen. Das fand ich auch das Tolle, was Euch gelungen ist mit der UdN, dass ihr die Fremdheiten überbrückt habt. Wo ich denke, das sind so verschenkte Chancen, diese Baumhäuser, die ihr gemacht habt, mit den Jugendlichen, und hinterher die Diskussion mit dem Bezirk Mitte über den Zaun an dem Park. Da denkt man, das darf nicht wahr sein, es gibt die Modelle, es gibt die wunderbaren Erfolgsstorys, und hinterher reagiert man nur noch über Angst, Projektion und Zaun bauen.

Bernd Kniess: Es ging um Haftung am Ende. Wer haftet dafür, wenn ich den Zaun abbaue und keiner aufpasst.

Dieter Läpple: Ja, und dass man keine neuen Formen gefunden hat, wie man mit Haftung, formellen Verträgen...

Bernd Kniess: Ja, wir haben es ja gefunden, wir haben den Zaun abgebaut, und wir sind das Risiko eingegangen, es hätte auch schief gehen können.

Dieter Läpple: Ja, ich habe Euch auch dafür bewundert, dass ihr das gemacht habt. Es war mir auch klar, ich kannte das ja ein bisschen aus Deinen Erzählungen, wie es gelaufen ist und wie es gelungen ist, das ist ja für mich auch so eine elementare Form von Ownership, dass die Kids befanden, dass ist ihre Sache und die wird nicht kaputtgeschlagen.

Uwe Lübbermann: Dann würde ich aber eher sagen, wir können uns dem Rahmen nicht entziehen, weil natürlich eine Rechtsordnung hier ist, die wir einhalten müssen, es gibt ein Steuerrecht, es gibt den Kapitalismus drum rum, der bestimmte Anreize setzt, und bestimmte Zwänge setzt, und man kann aber trotzdem innerhalb dieses Rahmens sich ganz anders bewegen. Und noch einen Satz dazu, weil sie einen Widerspruch gesehen haben zu der dörfli-chen Betrachtungsweise und der Beziehungsbetrachtungsweise. Ich glaube nicht, dass sich das ausschließt, sondern zu der Köchin beispielsweise gab es einen persönlichen Bezug, und dennoch war das im ganzen doch eine Form von Dorf in Anführungsstrichen, man kann ja in einem Dorf auch Partnerschaften haben.

Ben Pohl: Ich glaube, dass sich diese Gemeinschaft, diese Gemeinschaftstheorie gegenüber einem Außen konstituiert. Dass der gemeinschaftstheoretische Ansatz besagt, dass die Gemeinschaft immer ein Außen braucht, um sich als Gemeinschaft überhaupt zu konstituieren. Und diese Partnerschaft vielleicht einen anderen Gemeinschaftsbegriff hat, der durch das Mit-Dasein funktioniert, und damit eine Offenheit hat, und erstmal noch nicht festlegt, es muss ein Außen geben, damit es ein Innen gibt. Oder wo dieses Außen ist. Aber das finde ich einen spannenden Ansatz, wie denkt man über andere Formen von Gemeinschaft nach, oder man kann es ja als Partnerschaft bezeichnen, die nicht diese Abgeschlossenheit braucht.

Uwe Lübbermann: Bei uns ist das so, dass jeder Beteiligte nur eine Flasche mal getrunken haben muss, den realen Namen angeben, und eine E-Mail schreiben und sagen, dass er mit-reden möchte. Dann kann man schon dazugehören. Also das ist bewusst nicht abgegrenzt.

Dieter Läpple: Aber was ist dann der Status?

Uwe Lübbermann: Dann kann er oder sie sich Kollektivist nennen, kann bei allen Entschei-dungen mitmachen...

Dieter Läpple: Wirklich?

Uwe Lübbermann: … und auch ein Veto einlegen.

Janna R. Wieland: Das mache ich zum Beispiel gerade.

Uwe Lübbermann: Und dann braucht man zum Beispiel auch kein Marketing mehr. Weil dann nämlich die Leute aus dem Dorf in Anführungsstrichen davon erzählen, wie das da drin funk-tioniert. Man könnte natürlich, wenn man im Viertel Plakate aushängt, würde es schneller gehen.

Dieter Läpple: Aber das ist eine moderne Form der Vergesellschaftung. Ich würde es nicht Dorf nennen. Ich meine, ich bin im Dorf aufgewachsen. Ich weiß um die Notwendigkeit da zu entfliehen. Weil das Dorf auch eine despotische Enge hat, manchmal.

Bernd Kniess: Ja vielleicht ist deshalb der Begriff des Commonings gewählt und nicht der des Dorfes.

Dieter Läpple: Also eine neue Form der Vergesellschaftung, der Gemeinschaftsbildung. Ich möchte natürlich auch mehr von ihnen kennenlernen. Das ist natürlich etwas, wo ich unheimlich darauf abfahre. Für mich ist das Urbane eine ungeheure Produktivkraft gerade in seiner immer neuen Aushandelbarkeit.

Tim Kistenmacher: Also für mich wäre es eine neue Form von Identitäten herstellen. Also ich als Hamburger, wenn ich in München bin oder sonst wie merke ich, mein Gott in München, das ist nicht meins, hier das ist meine Identität. Da bin ich dörflich, wenn mir das Nebendorf, was weiß ich, nicht den Maibaum klaut, gibt es Konflikte. Von daher, das Urbane, was ist das Urbane?

Ben Pohl: Das ist eine schwierige Frage. Das Urbane, wie wir es verstehen, entsteht aus der alltäglichen Produktion von Stadt durch seine Bewohner und ihre individuellen Interessen in einem durch Vielfalt und Heterogenität gekennzeichneten Beziehungsnetzwerk … Aber um es noch einmal auf einen Punkt zu bringen, vielleicht ist es der Rahmen, die Normen, denen wir uns nicht entziehen können, die gehören ja zum Urbanen dazu. Das sind ja Skripte, die mit eingelagert sind, sei es in den Rechtssystemen, Gerichten, Parlamentsgebäuden, diesen ganzen Institutionen und Akteuren gehören die ja mit dazu, aber es würde den Rahmen sprengen, diesen Begriff jetzt zu explizieren.

Dieter Läpple: Aber er kommt ja, er steht da. Es war ja auch eine Grundbedingung Eurer Arbeit in Wilhemsburg, dass ihr in einer fremden Welten tätig wart.

Bernd Kniess: Ja, natürlich, wir haben uns dem ja bewusst ausgesetzt. Wir haben ja auch gesagt, wir sind Universität und nicht Community-Centre, oder so etwas, was ja durchaus am An-fang von uns erwartet wurde, dass wir Anlaufstelle sind oder Vermittlungsinstanz für die IBA. Stattdessen haben wir gesagt, nein, wir sind Universität – erst mal und wir können gar nichts anderes sein.

Ja wir interessieren uns für Nachbarschaft, für den Kontext aber auch für die relationale Bedeutung des Begriffs.

Daraus und in Anlehnung an Joan Littlewoods University of the Streets – das wäre dann auch der Verweis auf die performative Dimension des Projets – ist dieser sperrige Name entstanden, aber wir haben nicht versucht uns damit anzubiedern. Oder zu sagen "wir wollen so sein wie ihr, Nachbarn kommt doch!" Das war am Anfang die Auseinandersetzung, was heißt es überhaupt, Nachbar zu sein. Und unser Ergebnis war, natürlich auch aufgrund der Anforderung, die das Projekt an uns stellte, erstmal sich mit seiner materiellen Beschaffenheit und den daraus sich ableitenden Prozessen zu befassen, also mit dem Gebäude. Und über die Befassung mit diesem, setzten wir uns der Beobachtung derer aus, die um uns herum wohnten, arbeiteten, in Schule oder Kindergarten gingen, sich im Park trafen. Und ehe wir uns versahen, mussten wir feststellen, dass wir Nachbarn geworden waren. Einfach durch das Dasein.

Uwe Lübbermann: Mich würde noch interessieren, wenn es um den Rahmen, um das Urbane geht, wie ihr mit dem Thema Gentrifizierung umgegangen seid. Weil dadurch, dass ihr da wart, habt ihr ja vielleicht auch dazu beigetragen.
Ben Pohl: Da sind wir uns natürlich bewusst darüber, keiner wird das Leugnen, denn das gehört ja zu diesen Prozessen dazu. Die Frage ist, wie steht man dazu, wie steht man zu Verän-derungsprozessen. Was ich in der Gentrifizierungsdebatte oftmals problematisch empfinde, dass viele oft eine konservierende, fast eine konservative Haltung einnimmt, nichts darf sich ändern. Wenn man sogar den prekären Zustand eines migrantischen Quartiers lieber stabili-sieren möchte, als irgendeine Form von Veränderung zuzulassen...

Bernd Kniess: … und sie zu gestalten.

Ben Pohl: Das ist der wesentliche Punkt. Ich bin Akteur, ich bin jetzt da, und ich gestalte das mit, weil ich mich eben nicht entziehen kann. Das ist Teil meines Alltags, also versuchen wir das besser zu machen, damit wir alle Freude daran haben, da zu leben.

Tim Kistenmacher: Aber alles, was da an Veränderung passiert ist, in den letzten 20-50 Jahren führte ja immer weiter zu prekären Situationen in Wilhelmsburg. Das heißt, da ist jetzt ein bestimmter Status erreicht, wo ich das sogar verstehen kann, dass man sagt, ich will jetzt keine Veränderungen mehr, weil die führt ja automatisch in die nächste tiefere Stufe meines Seins in Wilhelmsburg; Verdrängung, und jetzt kommt dieser Universitätsprozess und diese Professoren, aber ihr seid ja an sich auch, die Universität ist ja jetzt weg, das ist ja wirklich Forschung, temporär, wie das alles angekündigt ist, aber es ist ja auch ein Funke so übergesprungen, wo ihr sagt, zwar ist jetzt das konkrete Projekt weg, aber wir wollen trotzdem mit der Expertise, mit unseren Überlegungen dort weiterhin präsent sein, in irgendeiner Weise eine Fortsetzung schaffen. Oder zieht ihr Euch jetzt wieder in euren Palast zurück? Man spricht ja von Palästen und Zelten, und lasst die Nomaden da weiter in den Zelten sitzen. Das frage ich jetzt einfach mal.

Bernd Kniess: Wir sind weg das ist richtig, wir haben auch keine Möglichkeit im Moment da zu sein. Das hat mit anderen Logiken zu tun. Was wir versucht haben dort, weil der Prozess uns sehr bewusst war, ist tatsächlich unsere Fragestellung in andere Formen zu überführen, eben in diese sogenannte offene Form. Und der auch Gestaltung zu geben, es waren nicht Objekte, die wir gestalten, sondern es ging um die Gestaltung von Prozessen. Zum Beispiel diese Restaurantabende, wo wir Gemeinschaften zusammengeführt haben, uns auch Gemeinschaften ausgesetzt haben. Oder auch dieses letzte Projekt, was natürlich sehr aufwendig war, mit dem Hotel Wilhelmsburg, wo wir aber versucht haben eine Form zu finden, Fragestellungen zum Wohnen wirklich in eine Struktur zu überführen, die zumindest Fragen aufwirft, was machen die da eigentlich, um das auch einzuschreiben, einer Auseinandersetzung zum Thema eine Form zu geben, die nur dazu dient ein Objekt zu sein sondern die Frage überhaupt zu ermöglichen. – Was hat das jetzt mit Wohnen zu tun, wenn da so eine Röhre ist, in der ich schlafen kann, wie steht die im Verhältnis zu dem Restaurant oder der Terrasse, auf der ich Sonntags meinen Kaffee bekomme, oder so etwas. Und das waren für uns tatsächlich Modelle, insofern war das eine Versuchsanordnung, die wir versucht haben, öffentlich zu machen. – Ich sage, wir sind nicht mehr da, aber es gibt andere Bewegungen am sogenannten Kulturkanal, wo ich glaube, dass auch das eine oder andere weiterlebt in der Richtung von dem, was wir ange-dacht haben, manchmal auch in einer ganz anderen Richtung, aber das ist gar nicht so schlimm. Ich glaube, das Wesentliche ist, dass man etwas bewegt hat, was tatsächlich auch eine Kontinuität produziert, oder Anbindung findet.

Dieter Läpple: Zunächst vorweg: ich finde, dass in letzten Jahren, nicht zuletzt durch die Recht-auf-Stadt-Bewegung eine fatale, antiurbane Umdeutung des Gentrifizierungsbegriffs stattgefunden hat, der wie ich finde, fatale Folgen haben kann. Was ich auch direkt in Wilhelmsburg erlebt habe, also Gentrifizierung ist ja nicht unmittelbar Form der Diversität oder Aufwertung oder Veränderung sondern ist Verdrängung, ich gehöre ja zu denen, die mit aller Klarheit und aller Offenheit gesagt haben, dieser Stadtteil ist in einer dramatischen Situation weil es seit 30 Jahren selektive Abwanderungsprozesse gibt, und sie sind in vielen Bereichen ein Art Armutsfalle, in den Schulen, in der lokalen Ökonomie, in der Gesundheitsversorgung, wenn es nicht gelingt, diesen Prozess der selektiven Abwanderung zu stoppen, und teilweise umzukehren, dann weiß ich nicht, wie sich der Stadtteil jemals stabilisieren kann. Und das war Programm der IBA, dass wir sagten, Aufwertung, wobei das eher Programm war als Realität, ich meine, das waren homöopathische Injektionen, die ja nun gar nicht irgendwie die kritische Masse erreicht haben, es gibt ein paar sehr erfolgreiche Geschichten im Bereich der Schule, die aber konterkariert werden durch die Stadt, die jetzt die wichtigsten Ansätze kaputtspart. Die Lernlandschaften und so weiter. Oder was dann im Bereich der lokalen Ökonomie da stattgefunden hat. Also ich denke, dass man da auch in aller Offenheit darüber reden muss, dass dieser Diskurs über die Gentrifizierung, wie er auch von einigen Kollegen vertreten wird, Andrej Holm und so weiter – finde ich eine Katastrophe! Ich finde es fatal. Was die, was da… Also erst das Ende der Stadt proklamieren und dann die Gentrifizierung als den Hauptfeind der Menschheit – unmittelbare amerikanische Beispiele übertragen. In den USA ist das in ganz klaren Kontexten. In den USA ist das Einkommen der Städte und die Qualität des städtischen Lebens gebunden an die Grundsteuer. Und die Grundsteuer hängt zusammen mit der Sozialstruktur der Bevölkerung. Und das führt dazu, dass von der Stadtpolitik bewusst oder unbewusst dazu geführt, Arme zu vertreiben. Und mit brutalen Formen der Gentrifizierung. Dass man diesen Begriff einfach umstandslos übertragen, nach Deutschland gebracht hat und damit eben dazu geführt hat, teilweise Substandardsituationen gewissermaßen einfrieren zu wollen.

Tim Kistenmacher: Eine, sagen wir mal eine Stadtumgestaltung oder Stadtteilumgestaltung ist ein Prozess von 30, 40 Jahren, mit einem hohen ideellen Aufwand – ich spreche mal gar nicht über das Geld, Finanzen und so weiter, die dafür notwendig ist – sondern einfach dieser ide-elle Input, der kommen muss von Menschen, die sich damit beschäftigen, die die dortigen Menschen mit einbinden, die sie ausbilden, um diesen Aufgaben gerecht zu werden. Und wenn ich jetzt – ich spreche jetzt nicht von der HCU – aber wenn ich jetzt also die Ziele der IBA mit dem Ist, heute IBA und Wilhelmsburg, sehe – ist ja alles das, was dort vollmundig angekündigt wurde, politisch auch unterstützt wurde – bricht ja zusammen, erfüllt sich nicht, wird zurückgezogen. Stellen werden gekürzt, es gibt keine Investitionsgeschichten. Wir sind uns einig, dass Investitionen in Schulsysteme, Bildungssysteme, kulturelles Lernen umgehend mit dem fremden Produktionsformen, kann von mir aus lokal sein, urban denke ich da gar nicht, oder wie auch immer, dass das an sich so eine bestimmte Zielsetzung auch von der Universität der Nachbarschaften, ist in gewissem Sinne Transfer von Selbstbewusstsein in eine solche Region. Jetzt geht man da wieder raus und das Selbstbewusstsein hat oder ist noch nicht, hat sich noch nicht so entwickelt.

Bernd Kniess: Ich glaube, wo es gut gelungen ist, was du auch genannt hast, in den Schulen, ist dort möglicherweise wo Schnittstellen entstanden und gepflegt wurden. Also wo eine Hyb-ridisierung zugelassen wurde. Dort, wo es gescheitert ist, aus meiner Sicht, ist in dieser Verinselung, ne? Bei deiner Heimat – man muss es leider sagen – Homogenisierung.

Dominique Peck: Wie kann die Gestaltung eines solchen Prozesses nun aussehen?

Bernd Kniess: Naja, ich glaube man kann versuchen Prozesse tatsächlich offen zu halten. Wie aber geht das? Das scheint mir die große Kunst zu sein. Wir waren am Anfang einer Situation gegenübergestellt, die einen hohen Schließungsgrad aufwies, alleine durch diesen Wettbewerb, der zwar ein Ergebnis produziert hat, was im Vergleich zu den anderen Arbeiten auch richtig war, aber eben nicht die Lösung eines Problems oder einer Frage, sondern das Ge-genteil: Die Lösung war nicht umsetzbar. Vierzehn Arbeiten waren im Wettbewerb. Dreizehn haben Tabula rasa gemacht und einen schicken Pavillon entworfen, nur eine Arbeit hat mit dem Bestandsgebäude gearbeitet. Zudem hatten sie eine Strategie was sie tun wollten, nämlich zuerst einmal einen richtigen Architekten beauftragen, der das Haus fertig macht, dann geht man da rein, lokalisiert: Wer ist die Community, wer sind die Akteure? Und die machen dann die Projekte und die Sache läuft quasi von selbst. Soweit ihre Vorstellung. Und wir müs-sen beachten, es war ein Stadtplaner- und Architekten-Wettbewerb. Unzweifelhaft haben sie in diesem Verfahren die beste Lösung gefunden: den Umgang mit dem Bestand. Dann sind sie ihrem Konzept selbst auf den Leim, als sie sagten, zuerst müsse dieser Umbau professio-nell umgesetzt werden, weil sie vernachlässigt haben, dass sie damit das gesamte Geld, das für das Gesamtprojekt für eine fünfjährige Betriebsdauer zur Verfügung stand, auf einen Schlag verausgabt hätten und das für eine Hülle, für die sie noch nicht einmal ein Programm entwickelt hatten. Das heißt, das Haus wäre fertig gewesen und dann hätten sie sich überlegt: Was machen wir jetzt hier?
So das Problem war zwar gelöst aber das Projekt war gescheitert. Das eigentliche Problem daran war, dass es nie präzise formuliert war, es gab keine richtige Frage, aber dennoch war das Problem gelöst. Womit wir es also zu tun haben, ist eine Antwort auf eine nicht gestellte Frage, die insofern kaum richtig sein kann. Und wir haben dann versucht es herumzudrehen und zu sagen: Okay, so geht es nicht. Wir haben mit Feststellungen gearbeitet, mit Setzungen. Zum Beispiel, dass wir gesagt haben, wir machen es selbst. Wir bilden Architekten aus, warum sollen die das nicht selber machen? Selbstbau. Das ist natürlich ein völliger Irrsinn bei den Bologna geshapten Curricula, die wir haben, durchrationalisiert bis in die letzte Lehrver-anstaltungsstunde. Wie aber organisiert man eine Baustelle bei solcherart engen Stunden-plänen?
Und wir haben aber einen Weg gefunden dann, aus dieser Anforderung, in dieses Ding hin-einzugehen, es überhaupt erstmal aufzuräumen, und sich dem… Sich das anzueignen, was da ist, einen Raum zu schaffen aus vier kleineren Einheiten, die halb eingerissenen Wände wegzuräumen, einen Versammlungsraum zu haben, dort reinzugehen, ein Seminar zu ma-chen und eine Eröffnung – weil das war ja Exzellenz-Projekt – vorzubereiten! Das war wieder eine Setzung, die ein Ziel, ein Teilziel vorgab. Und dann musste man natürlich ganz viel machen: Man musste die WCs wieder herrichten, man musste die Fenster abdichten, die alle eingeschlagen waren und so weiter und so weiter. Und das war immer… Und dann hatte man zwei studentische Projekte auch: Eine Kulturküche und ein Musikprojekt. Aus diesem Musik-projekt ist schließlich der Raum für das Theaterprojekt hervorgegangen, was dann vier Jahre dort tatsächlich stattgefunden hat.

Die Küche war tatsächlich die Küche geblieben, die das Projekt, das ganze, die ganze Zeit getragen hat.

Und in der Küche. Der erste Betrieb war das Eröffnungsfest. Kulturküche der Nachbarn. Von den Studierenden organisiert. Draußen hatte man eine Terrasse gebaut. Und es gab jetzt dieses Fenster und diese Verbindung durch dieses Fenster, was eigentlich nur Luft und lüften soll, funktional, war auf einmal eine Durchreiche geworden, war Ort der Kommunikation. Man stellte fest, diese Beziehung von innen nach außen, in die Terrasse, in den Park, führte dazu, dass man natürlich… Alles war ja kaputt, es gab kein Fenster mehr, musste das Fenster, alle Fenster neu verglasen. Das ergab aber wieder wenn man nicht ein Problem hat und ich hab ein kaputtes Fenster, muss es reparieren, sondern: Was ist denn die Option? Wir drehen es herum. Ja, wir vergrößern das Loch, sodass ich heraustreten kann. Und diese Beziehung, die ich schon gelernt habe, was das Haus kann, die vergrößere ich noch. Und so gab eins das andere und ermöglichte ganz viel. Und das haben wir eigentlich so diesem Projekt zu Grunde gelegt. Also immer wieder dieses iterative Vorgehen und dieses wie wir es nennen, nicht Aufgaben-stellen, sondern wir haben Takes bearbeitet. Also aus der Musik: Immer nur Teilstücke, die wir genommen haben, um sie weiterzuspielen. Also was ist das Thema, was ist das Motiv? Und wie können wir das weiterentwickeln? Und in ein Stück überführen? …
Und insofern ist auch die Sache, die Frage, um das zum Abschluss zu bringen, die Frage sollten sich immer wieder neu stellten, nicht nur bei uns, bei den Studierenden, bei den Nachbarn ,bei unseren Gästen, was will ich hier, was macht ihr hier eigentlich, was können wir machen und wie machen wir´s. Das sind spannende Fragen … Also nicht zu sagen, das ist meine Frage und bitteschön beantworte mir die jetzt einmal, weil ich hier das Problem vorgebe. Das wäre wieder diese Problemlösungssache, das hatten wir ja am Anfang schon. Das heißt nicht, dass wir damit etwa behaupten wollten, das problembasierte Lernen überkommen zu haben, wir suchen es zu erweitern, seine Schwächen auszuräumen bzw. zu mindern. Das heißt zum einen das Substantiv Problem oder -lösung in ein (schwaches) Verb zu überführen und das als eine reflexive Tätigkeit zu begreifen, die allen Arbeitsschritten zugrunde gelegt wird und das heißt damit auch, es aus einer technokratischen Betrachtungsebene, jedes Problem könne auf einer technischen Ebene gelöst werden, wenn es nur dem geeigneten Experten an die Hand gegeben werde. Das impliziert einen objektivierenden Handlungsansatz, der so nicht gegeben ist. Die Verantwortung liegt beim Akteur, die dieser für sich klären muß: was ist mein Motiv, welches das Interesse, was ist meine Frage mich mit einer Sache zu befassen. Das ist unser Thema.

Tim Kistenmacher: Also erst mal ermöglichen überhaupt, die Fragen zu stellen.