Hotel

»Das Hotel ist ein Ort der Unruhe und der Geheimnisse, ein transitorischer Raum, in dem Schicksale, Hoffnungen und Ängste aufeinander treffen, ein Lust- und Schreckensort, der ebenso als Abbild der Welt wie als miniaturhafte Gegenwelt, als Tummelplatz bedrohter und bedrohlicher Existenzen dienen kann.«

[Andreas Kilb; 2005]

Von „echten” Hotels

Hotels sind spätestens seit der Jahrhundertwende um 1900 und dem Aufkommen der ersten Grand Hotels in den Metropolen Europas immer wieder Schauplatz in Literatur und Film gewesen. Als Spiegel der modernen bürgerlichen Gesellschaft dienen sie in Filmen und Büchern als Bühne verschiedenster Protagonist:innen, ihrer jeweiligen Beziehungen und Geschichten. Im Hotel vereinen sich fast schon exemplarisch oder klischeehaft kosmopolitische Individuen als quasi Abbilder der gegenwärtigen Gesellschaft. Das Hotel als paradigmatischer Ort der Moderne – hier vereinen sich Menschen aus unterschiedlichsten Orten der Welt an einem einzigen Ort, die repräsentativ für einen bestimmten Zeitgeist stehen.

Unter dem Dach eines Hotels finden sich neben den unterschiedlichen Räumen, auch unterschiedliche Aufgaben und Arbeitsprofile. Dinge, wie Möbel, Stoffe, Oberflächen und andere Gegenstände fügen das Bild eines Hotels, wie wir es uns im klassischen Sinne vorstellen zu einem großen Ganzen zusammen:

Subjektive Vorstellung eines Hotels

Ein Hotel ist meistens ein Haus, in dem sich mehrere getrennte Schlafräume befinden. Eine Rezeption in der Nähe des Eingangsbereichs dient als Empfang der Gäste und ist zentraler Anlaufpunkt bei Fragen oder Wünschen. Hier erhalten die Hotelgäste die Schlüssel zu ihren Zimmern, darüber hinaus in manchen Hotels extra Serviceleistungen, wie einen persönlichen Concierge, der seinen Gästen (je nach Standard des Hotels) alle Wünsche erfüllt. Es ist der Ort an dem ein- und wieder ausgcheckt wird. Hallo und Tschüß im Hotel. Daraus ergibt sich (in Bezug zum Eingang und einer Rezeption) die Lobby, als Eingangshalle, die die Gäste über die Rezeption und die Hotelflure zu den privaten Schlafräumen mit Badezimmern hinein und wieder hinaus führt. Im Restaurant des Hotels können meist auch Gäste speisen, die keine Übernachtung gebucht haben. An der Hotelbar treffen Gäste auf Einheimische, Musiker:innen und Barchefs. Im Konferenzsaal treffen Geschäftsleute aus der einen auf Geschäftsleute der anderen Stadt. Im Bankettsaal oder Spiegelsaal werden Feste mit lokalen wie internationalen Gästen gefeiert usw.

Die romantische Vorstellung von Hotels (ich persönlich habe bisher in eher unscheinbar bis hässlich ausgestatteten, nicht sehr luxuriösen Hotels genächtigt) ist eng an eine bestimmte Art von Luxus geknüpft. Es gibt verschiedene Typen von Hotels mit unterschiedlicher Ausführung und Programm. Sie unterscheiden sich in Gestalt, Lage, Komfort usw.

Die Kontakte zur Außenwelt (innerhalb des Hotels) kann der Gast selbst steuern indem er sich zwischen dem Rückzug im eigenen Hotelzimmer bzw. dem Aufsuchen der Gesellschaftsräume frei entscheiden kann. Hotels lassen sich im klassischen Sinne in zwei Welten teilen, die der arbeitenden Bedienenden und die der Gäste (der Bedienten).

Rundgang im »Hotel?«

Von der Straße aus komme ich auf das fast unscheinbare Gebäude zu. Ein schmaler, mit Betonplatten gepflasterter Weg führt mich zum Eingang der Universität der Nachbarschaften. Zu meiner rechten Seite eine zunächst schwer überschaubare zweistöckige Konstruktion – das Hotel. Ein Baustellengerüst, dass sich über mehrere Ebenen erstreckt und in dem hier und da Schlafkapseln aus Holz, alten Fenstern und Schalungsröhren ragen. Bäume und Sträucher scheinen in diese Skulptur hinein gewachsen zu sein. Die Skulptur selber wiederum in das bestehende Gebäude. Gebäude und Hotelgerüst könnten in ihrer Gestalt kaum unterschiedlicher sein - ein relativ unspektakulärer, eingeschossiger 50er Jahre Bau und eine spektakulär zusammen gepuzzelte Hotelskulptur, an deren Bau und Konzeption dutzende Akteur:innen beteiligt waren. Ich betrete das Gebäude und laufe geradewegs auf einen aus aufeinander geschichteten Holzplatten bestehenden Tresen zu – die Rezeption. Auf der dahinter liegenden weißschmutzigen rohen Wand steht mit schwarzer Lackfarbe Hotel? geschrieben. Auf dem Tresen lehnt ein kleines Schild, auf dem eine läutende Klingel aufgezeichnet ist. In den Spalten des Tresens befinden sich Taschenlampen und Broschüren, die den Aufenthalt und den Betrieb im Hotel erklären . Ein Holzschrank mit Glastüren ein paar Meter weiter rechts ist mit Kissen, Decken, Bettwäsche und Handtüchern bestückt. Die Tatsache, dass hier niemand hinter dem Tresen steht (oder wenn, nur zu bestimmten Anlässen) mindert das Bild eines Hotels nicht. Die Objekte, die wohl positioniert und sichtbar für den Gast sind, komplettieren das Bild.
Ich gehe wieder raus aus dem Gebäude. Neben der Eingangstür ist eine kleine Box angebracht. Ich kenne den Code: 2110 – die ersten vier Ziffern der Postleitzahl des Rotenhäuser Damms 30. In dem kleinen Kästchen befindet sich der Schlüssel für die Eingangstür. Auf einem eingeklebten Kreppband steht geschrieben: »Kloschlüssel – put it back«. Das Hotel bietet Schlafzimmer, Gemeinschaftsflächen, Gärten und Duschen, nur Toiletten gibt es nicht, dafür können die Gäste auf die bestehende Infrastruktur der UdN zurückgreifen. Ich stehe mit dem Rücken zum Gebäude und schaue auf ein riesiges weißes Nest, das von der Birke herabhängt, umringt von den Schlafkapseln, Treppenauf- und abgängen. Ich gehe den kleinen Weg am Haus entlang, links unter einer der Treppen befindet sich ein Hotelzimmer, das durch eine hölzerne Schwingtür betretbar ist. Auf zwei Ebenen finden hier zwei Personen Platz zum übernachten. Es gibt ein großes Fenster zur einen und ein kleines Fenster – bestehend aus in die Holzwand integrierten Scheiben aus Polykarbonat – zur anderen Seite des Raums. Eine Klemmlampe an der Wand sorgt für Licht. Unter den zwei Stufen, die zu den beiden Bettpodesten führen ist Stauraum für Gepäck oder Ähnliches.
Ich gehe wieder raus aus dem Hotelzimmer und kann durch ein kleines Fenster direkt gegenüber in das Innere einer weiteren Schlafkapsel schauen. Über den weichen Rindenmulch gehe ich rechts um die Ecke und zwei Holzstufen hoch bis ich etwa einen halben Meter über dem Boden auf der unteren Etage des Gerüsts stehe. Fast wie ein innenliegender Flur erscheint dieser Bereich des Hotels, nur ein Dach gibt es nicht. Auf diesem Flur befinden sich vier Schlafkapseln. Zu meiner Rechten zunächst zwei kleine Schlafkapseln, die getrennt begehbar aber doch ineinander verschachtelt sind. Um das erste dieser beiden Hotelzimmer zu betreten muss man sich ducken, lediglich in dem etwa 1qm großen Eingangsbereich kann eine ausgewachsene Person normal stehen. Das Bett jedoch befindet sich um die Ecke, versteckt in einem Bereich mit einer Raumhöhe von nur etwa einem Meter. Das Bett im zweiten Zimmer wiederum errreicht man über ein Podest. Beide Räume sind mit Holz verkleidet und haben gerade genug Platz für eine schmale Matratze und Abstellflächen an den Seitenwänden. Durch die kleinen Fenster schaut man auf einen kleinen Hotelgarten, eine mit Lavendel bepflanzte Duschwanne, die an der Fassade des Hotels in das Gerüst eingelassen ist. Das Zimmer am Ende des Flurs trägt seit den Bauworkshops den inoffiziellen Namen »Italienische Villa«, weil es hauptsächlich von italienischen Architekturstudenten konzipiert und gebaut wurde. Dieses Zimmer bietet Platz für zwei Personen. An der rechten Wand des Zimmers ragt ein halber Stuhl aus der Wand. Die Qualitäten dieses Zimmers stellen unter anderem die zwei Eckfenster dar, durch die man den Blick in den Innenhof des Hotels hat. Umgekehrt ist diese Schlafkapsel auch immer von Außen einsehbar. Der Boden und das Schlafpodest sind mit Turnhallenfußboden aus der benachbarten Turnhalle ausgekleidet. Im Gegensatz zu allen anderen Zimmern gelangt man in dieses durch eine standardisierte Tür, man kann aufrecht im Raum stehen.
Auf der linken Seite des Flurs befindet sich der »White Room« oder auch »Lesezimmer« genannt. Durch einen Vorhang aus zurecht geschnittenen, schwarzen Feuerwehrschläuchen gelangt man in die weiße Schlafkapsel, die Platz für eine Person bietet. Zur rechten Seite sind unterschiedlich lange Regale in die Wand eingelassen, unter einem der zwei Fenster ist eine Schreibplatte angebracht. Auf dem Bett sitzend kann der Gast so den Schreibtisch benutzen. Von dem Flur des Erdgeschosses gelange ich über eine Treppe hoch auf den Dachgarten. Breite Stufen dienen als Sitzbank bzw. Treppe, am oberen Gelände des ersten Stockwerks ist ein Blumenkasten angebracht. Ich gehe geradeaus weiter über eine Brücke, gebaut aus einer großen hölzernen Transportkiste, die mich in das Dachgeschoss des bestehenden UdN-Gebäudes führt. Die »Smokers Lounge« ist die gemeinschaftlich nutzbare Fläche des Hotels. Mit Parkett und Turnhallenfußboden verkleidet und Sitzgelegenheiten aus Feuerwehrschläuchen und einem Tresen kann dieser Ort flexibel von mehreren Gästen genutzt werden. Auf der anderen Seite des Dachbodens gelangt man durch eine Tür auf den Duschbalkon. Ein Gerüst wurde von der zum Park liegenden Seite der UdN aufgebaut und auf etwa 2qm eine Sitzbadewanne, ein Waschbecken und zwei Duschkabinen unter freiem Himmel und Blick ins Grüne installiert. Außerdem befinden sich unter dem Balkon, zwei weitere Außenduschen.
Zurück über die hölzerne Brücke über den Dachgarten zur rechten Seite betrete ich das Obergeschoss des Hotels. Ein Baum ragt im Übergang zur Treppe aus der Mitte des Podests. Ich gehe links vorbei am Dachgarten vorbei weiter zum »Penthouse«. Ein gläserner Kasten, der hauptsächlich aus alten großen Fenstern besteht. Durch eine Holztür mit großen Löchern betritt man das Penthouse über etwa acht Stufen. Oben angekommen hat man einen spektakulären Durchblick nach oben, unten, zu den Seiten. Der höchste Punkt des Hotels, auf einer Höhe von geschätzten sechs Metern. Hier oben, fast schon in der Baumkrone der Birke, können ein bis zwei (wenn sie sich denn gut verstehen, da sehr eng) Personen übernachten. In den Boden eingelassen ist eine Art Schneewittchensarg – ebenfalls, wie die Brücke zum Dach, aus einer Transportkiste gebaut, bietet dieser Raum im Raum Platz für eine Matratze und eine Kiste zum Verstauen von Gegenständen, die im geschlossenen Zustand zudem als Ablage dient. Am Fenster steht ein Sessel aus Holz, die Gerüststange, die von einer Seite den Raum durchquert, kann als Garderobe genutzt werden. Das Dach des Penthouses bildet eine Konstruktion aus Segelplane, die im Dunkeln blau leuchtet. Das Penthouse – der blaue Mond des Hotels.

Gegenüber der Tür zum Penthouse befindet sich der Eingang zu zwei weiteren Schlafröhren. Durch einen Vorhang aus Segelplane betrete ich den Vorraum der Hotelzimmer – wieder unter freiem Himmel. Die runden, etwa zwei Meter langen Röhren wurden aus ihrem ursprünglichen Gebrauch als Schalungsröhren zum Gießen von Betonsäulen in Schlafzimmer transformiert. Wie (fast) alle anderen im Hotel verbauten Röhren sind auch diese von Außen mit Feuerwehrschläuchen verkleidet und so wasserresistent. Die Schlafröhren sind von Innen rundum mit Teppich ausgekleidet. Schaumstoffmatratzen dienen zum schlafen, in beide Röhren gelangt man durch Türen aus Segelplane. Öffnen bzw. Schließen funktioniert über einen Reißverschluss, der von Innen wie Außen bedienbar ist. Am Kopfende beider Röhren befinden sich runde Fenster - in einer Radspeiche eingelassenes Plexiglas.
Neben den zwei Schlafröhren und vis-á-vis des Penthouses hängt ein an Fahrradschläuchen im Gerüst hängendes Gebilde aus Segelplane. Innen ist eine schmale Liegefläche angebracht, dieses »Zimmer« ist mehr Leuchtkörper als Schlafraum, eine ausgewachsene, liegende Person würde es nicht tragen können...Ich gehe weiter über die Flure des Gerüsts. Ein bißchen erinnern die Wege und Aufgänge an Spielburgen, wie sie in meiner Kindheit häufig auf Abenteuerspielplätzen zu finden waren. Kein Wunder, dass die Kinder aus der Nachbarschaft immer wieder kommen und heimlich im Gerüst toben und sich in den Schlafkapseln verstecken. Ich gehe um die Ecke über zwei Stufen hoch und zwei wieder runter zu einem weiteren Bereich des Hotels. Ein Flur unter freiem Himmel mit vier Schlafröhren. Zur linken Seite befindet sich die »Fahrradkapsel«. Mit Kindern im Alter zwischen 8 und 12 während des Baumhauscamps im Sommer gebaut, ist diese Kapsel mit Fahrradschläuchen verkleidet und Innen mit einem roten Teppich ausgelegt. Die Schlafröhre hat eine Länge von insgesamt etwa 180 cm und ist daher nur für kleinere Personen geeignet. An den Innenseiten sind Filztaschen angebracht, von der Decke leuchten LED Lämpchen, die über eine Solarplatte auf dem Dach der Röhre Energie generieren. Vorbei an zwei Schlafröhren, diesmal mit roten Feuerwehrschläuchen verkleidet, am Ende des Flurs gelangt man über drei Stufen zu einer weiteren einzelnen Schlafröhre. Ich drehe mich wieder um und gehe drei Stufen runter, um dann um die Ecke wieder zwei Stufen hoch zu gehen. Wieder zwei nebeneinander liegende Schlafröhren. Wenn sich zwei Leute jeweils reinlegen und ganz durch bis zum Fenster rutschen können sie sich durch die fenster Guten Tag sagen. Ein etwa 2 qm großer Vorraum schafft ein Stück Privatsphäre und bietet zusätzlichen Platz für die hier übernachtenden Hotelgäste.
Über eine Treppe verlässt man diesen »Röhrenflur« wieder und gelangt erneut ins Erdgeschoss des Hotels. Zur linken Seite neben der Treppe befindet sich ein Schlafkasten mit Schiebetür mit einer Raumhöhe von nur einem Meter. Im Erdgeschoss, quasi unter den beiden rot verkleideten Schlafröhren befinden sich weitere 3-4 Schlafplätze, bestehend aus zwei Schlafröhren und einer Schlafkapsel, genannt die Telefonzelle. Ein Holzkasten, der nach hinten zur Straße hin länglich ausufert. Ich stehe nun wieder auf dem weichen Rindenmulch, in der Mitte des Hotels, umringt von Bäumen, Schlafkapseln und dem hängenden weißen Baumhaus.

»In aller Regel bringen Heterotopien an ein und demselben Ort mehrere Räume zusammen, die eigentlich unvereinbar sind.«

[Michel Foucault: Die Heterotopien, S. 12-13]