Einleitung

Das bereits abgeschlossene Seminar 2020/21 ist auf der Lehr- und Lernplattform Hamburg Open Online University dokumentiert. Dort finden Interessierte das „Material“, sprich die Inhalte, die Studierende und Lehrende zum Arbeiten im Seminar zur Verfügung hatten, und die „Takes“, sprich die von Studierenden erarbeiteten Essayfilme im Ablauf ihrer Produktion von Take 0 – „Minimale Versuchsanordnung“ bis zu Take 6 „Essayfilme – Finale Schnitte“.
Die vorliegende Broschüre ist für kommende Seminare begleitendes Material als auch eigenständiges Produkt.

Die erste Grundlage zum Seminar entwickelten Christopher Dell, Bernd Kniess und Dominique Peck im Laufe der Arbeit an dem Buch Tom Paints the Fence – Re-negotiating Urban Design – einer prospektiv reflektierenden Auseinandersetzung mit dem Projekt Universität der Nachbarschaften als Teil der Internationalen Bauausstellung IBA Hamburg 2013. Dort arbeiteten die Herausgeber:innen Aspekte und Relationen der Frage der Produktion und Repräsentation von Wissen unter dem Motiv einer „Ermöglichungsarchitektur für die lernende Stadt“ heraus. Diese sind unter anderem in weiteren Publikationen in Sammelbänden und Journal Beiträgen veröffentlicht. Das Wissen der Gestaltung – die Gestaltung des Wissens geht von einem untrennbaren und meist impliziten und deshalb nicht unproblematischen Verhältnis von Gestaltung und Forschung in der „Wissenskultur“ Urban Design aus und setzt an eben dieses Verhältnis in Form eines Seminars weiter zu problematisieren und zu explizieren.

Urban Design beschäftigt sich in seinen Grundzügen mit der Transformation der urbanen Verhältnisse, wie sie nun einmal im Werden inbegriffen sind und verschaltet dabei Lehre, Forschung und Praxis auf der Grundlage eines situativ zu entwickelnden Motivs und einer dafür angemessenen Verfahrensweise zur Realisierung von Projekten – dabei ist es nur pragmatisch von Relevanz um welche Form von Projekten es sich handelt. Egal ob Buch, Website, künstlerische Intervention, Gebäude oder ein Stück Stadt – alles ist eine Frage der Form. Eine Trennung von Forschung und Gestaltung oder Theorie und Praxis ist dabei nicht mehr länger von Interesse, da diese nur vermeintlich abzugrenzenden Bereiche pragmatisch betrachtet iterativ und im Zusammenspiel von unterschiedlichen Disziplinen durcheinanderlaufen. So auch im Seminar Das Wissen der Gestaltung – die Gestaltung des Wissens. Als [Q]-Studies / Hamburg Open Online University Seminar offen für alle Studienprogramme im Master der HafenCity Universität arbeiten Studierende der Architektur, des Urban Design, des Bauingenieurwesens, aber auch Erasmus Studierende aus den Kultur- und Sozialwissenschaften an der Problematisierung des Verhältnisses von Wissen und Gestaltung.

Wie verhält sich dieses Verhältnis? Ein Beispiel: Im Projekt zur Realisierung eines Bauvorhabens soll zunächst eine Grundlagenanalyse betrieben werden. Im Aufgabenbeschrieb geht es darum zu recherchieren mit welchem Programm an Nutzungen das Bauvorhaben realisiert werden soll – Wohnungen, welches Wohnen, welche Wohnungen, Gewerbe, welches Gewerbetreiben, welche Gewerberäume, welche Nutzungen teilen sich Wohnen und Gewerbe, welche sind wie voneinander abzutrennen, und viele ähnliche Fragen mehr kommen im Prozess auf und müssen in Richtung Realisierung bearbeitet und schließlich in Form gebracht / gestaltet werden. Dazu werden Methoden empirischer Stadtforschung, der Marktanalyse, der Architekturproduktion und weiterer auf das Projekt situierte Arbeiten von Akteuren unterschiedlicher Berufe und Wissenskulturen ausgeführt. Diese Ausführung passiert nicht nur in den Köpfen eines oder mehrerer Architekt:innen, sondern muss aufgrund der Anforderung der Übersetzung von Sachverhalten dargestellt werden. Schon in dem Austausch zwischen Bauherrin, Sponsor, Stakeholder und Architekt, zwischen allen weiteren Gewerken, zwischen den Genehmigungsbehörden, etc. ist der Austausch unumgänglich. Wer Projekte realisieren will, muss darstellen, um sich abzustimmen, sonst fragen sich alle und keiner weiß was. Eine einfache Methode quantitativer empirischer Stadtforschung, z.B. das Übersetzen von demografischen Daten in ein Diagramm – wie wird gegenwärtig und in einigen Jahren und Jahrzehnten gewohnt?, sprich in welchen Zusammenschlüssen, als Kern- oder Patchworkfamilie, oder abseits der Familie als Verschaltung von beruflichen Zusammenschlüssen oder entsprechend von Bedürfnissen wie Pflege oder Bildung, über welche Temporalitäten, etc. etc. – bedarf der Verschaltung von Wissensproduktion und Gestaltung. Verhältnisse werden in Diagramme übersetzt, die Gestaltung der Diagramme ist nicht trivial, sondern epistemische Praxis. Beim Gestalten der Diagramme finden Gestalter etwas heraus, erschließen sich weitere Fragen. Wenn so und so viele Personen in der und der und der Form zusammenwohnen und arbeiten, wie könnte dann die Erschließung des Gebäudes das kombinierte Problem von Öffnung und Schließung bestimmter Räume (an)ordnen und was hat das mit Eigentums- und / oder Mietverhältnissen zu tun? Aus Daten über Verhältnisse sind Diagramme geworden. Diese wiederum werden in eine Entwurfsskizze mit einer textlichen Beschreibung plus den Diagrammen übersetzt. Diese Verschaltung unterschiedlicher Darstellungsformen ermöglicht es weitere Untersuchungen in Richtung Tragwerkskonstruktion, Kostenschätzung und Berechnung und weiteren in der Realisierung eines Bauvorhabens notwendigen Schritten anzufertigen. In Konsequenz erhalten Bauarbeiter technische Darstellungen zur Montage von Bauteilen, der Vertrieb und das Gebäudemanagement Daten zur Kalkulation von Einnahmen und Ausgaben zur Instandhaltung des Gebäudes etc. etc.

Warum ist es von Interesse das, wie wir nun sagen können, wechselseitige Verhältnis von Wissen und Gestaltung in der Lehre an der Universität für Baukunst und Metropolentwicklung in den Blick zu nehmen? Weil das Realisieren von Projekten, trotz genormter Verfahren, Standards, Bauteilverhalten etc. nicht frei von Kontingenz ist. In den meisten Fällen könnten die Verhältnisse auch anders sein, geraten unterschiedliche Vorstellung und Annahmen aufeinander, setzen sich Partikularinteressen durch, die tatsächliche Bedürfnisse überschreiben, sprich, nicht immer sind die Verhältnisse so, wie einzelne sie sehen, oder verändern sich schließlich nicht wie vorhergesehen. In genau solchen Situationen muss Austausch stattfinden. Wie, mit welchen Werkzeugen, in welchen Formaten, mit welchen Verantwortlichen etc. das stattfindet ist relevant für die Gestaltung des Urbanen – Urban Design.

Die Broschüre ist entsprechend den Materialien des Seminars in drei Kapitel gegliedert. Um einer heterogenen Studierendenschaft das Studieren in einem Seminar zu ermöglichen, braucht es Verständigung über einige basale Aspekte der Kernbegriffe „Wissen“ und „Gestaltung“ plus eine Minimalstruktur des Zusammenspiels, den Modes of Play. Das Kapitel Wissen versammelt Wissensbestände aus Lexika und vertieft die Auseinandersetzung mit dem Begriff schließlich in Richtung eines spezifischen Verständnisses von Wissen, das das Arbeiten im Seminar ermöglicht. Ähnlich macht es das Kapitel Gestaltung. Dort gehen wir von einer für das Seminar besonders reichhaltig rezipierten Praxis – OMA Office for Metropolitan Architecture – aus und legen auch hier einige spezifische Interessen für das Seminar frei. Das Kapitel Modes of Play basiert auf Vorarbeiten aus dem Seminar Project Management in Urban Design. Dort haben Christopher Dell und Bernd Kniess die grundlegenden Arbeiten von Gabriele Sturm in der Publikation Wege zum Raum – methodologische Annäherungen an ein Basiskonzept raumbezogener Wissenschaften für das Projekte machen in Urban Design übersetzt. Diese als Versammlung von Wissensbeständen vorliegenden Kapitel wurden im Seminar gleichzeitig zum Einüben der Videografie / des Videoessays vorgestellt und diskutiert. Aus dieser Situation heraus entstand auch das Bedürfnis einer für das Seminar spezifischen Form der Übersetzung dieser versammelten Wissensbestände. Die Illustration kam über eine Recherche entsprechend dieser Anforderung ins Spiel. Die Zeichnungen von Andreas Töpfer in dem Buch Speculative Drawing sind keine Abkürzungen zu den von Armen Avanessian und anderen niedergeschriebenen Theorien, es geht nicht um eine repräsentative Beziehung, sondern eine Möglichkeit über das Denken der Praxis nachzudenken – „ein spekulatives Denken und Schreiben im Konzept und durch die Bilder.“ Es geht, auch in dieser Broschüre, wieder um den Gegenstand des Seminars: Das Wissen der Gestaltung – die Gestaltung des Wissens.