1 Universität der Nachbarschaften UdN

Reiherstiegviertel, Wilhelmsburg 2009.
Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Mit der Universität der Nachbarschaften (UdN) 1 entsteht in Wilhelmsburg ein Ort des Lernens, Forschens und der Praxis an der konkreten Situation eines Stadtteils im Wandel. In einer für eine Hochschule außergewöhnlichen Situation, bietet sich hier die Möglichkeit, Inhalte und Vorgehensweisen in Lehre und Forschung an den realen Prozessen einer aktuell forcierten Stadtentwicklungspolitik zu überprüfen, zu untersuchen und zu erweitern. Als Universität für Baukunst und Metropolenentwicklung ist es erklärter Anspruch der HCU, sich den drängenden Fragen der Entwicklung, der Gestaltung und der Zukunft gebauter Umwelt zu widmen. Der kulturell vielfältige und sozial wie räumlich heterogene Stadtteil Wilhelmsburg ist gewissermaßen eine Aufforderung, die Lehr- und Forschungsschwerpunkte ihrer Fachgebiete zu befragen, Themen und Methoden zukünftiger Ausrichtung an den Schnittstellen der Disziplinen neu zu definieren sowie disziplinübergreifende Lern- und Forschungsfelder zu entwickeln.

Ausgangspunkt für das Kooperationsprojekt von HCU, IBA und Kampnagel ist das Areal eines ehemaligen Gesundheitsamtes mit seinem seit zehn Jahren nicht mehr genutzten Gebäude im Reiherstiegviertel Wilhelmsburgs, dem größten Stadtteil im Süden Hamburgs. Die Eigenschaften des Projekts sind besondere: im Off immobilienwirtschaftlicher Verwertungszwänge und -logiken eröffnet sich in einer Projektlaufzeit bis Ende 2013 ein Möglichkeitsraum für einen neuartigen Annäherungsprozess zwischen – zugewanderter – Universität und – lokaler – Nachbarschaft. 2 In einem solchen Kontext wird die Anerkennung der vorgefundenen Situation zur entscheidenden Grundlage und Ressource für die Um- und Restnutzung des Gebäudes. Im Sinne praktizierter Nachhaltigkeit geht es nicht nur um den angemessenen Umgang mit den zur Verfügung stehenden minimalen Mitteln, sondern darum, die vorgefundene Situation nicht als Mangel zu interpretieren. Es gilt Techniken zu entwickeln, mit intelligenten Verfahrensweisen ein Maximum zu erreichen, neue Lösungen und Handlungsformen zu gewinnen, mithin: das entwerferische Handeln lernend zu machen.

Wilhelmsburg ist eine der größten Flussinseln Europas, in unmittelbarer Nähe zum Hamburger Stadtzentrum. Die Entwicklung Wilhelmsburgs als Industriestandort und Transitraum im 20. Jahrhundert ist bis heute prägend. Über lange Zeit blieb Wilhelmsburg allerdings nahezu unberührt von den Dynamiken konzertierter stadtentwicklungspolitischer und wirtschaftlicher Interessen und bildete so eine ganz eigene Geschwindigkeit der Entwicklung heraus. Zwischen Hafenarealen, Landwirtschaft, Schnellstraßen und Müllentsorgungsanlagen entstand ein eigenwilliger und lebendiger Stadtteil, der unterschiedlichste Herkünfte und Kulturen zusammen- und eigene Kulturen, soziale Strukturen und Nachbarschaften hervorgebracht hat.

  • Kontext Wilhelmsburg
    Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Kontext Wilhelmsburg
    Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Kontext Wilhelmsburg
    Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Kontext Wilhelmsburg
    Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Kontext Wilhelmsburg
    Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Kontext Wilhelmsburg
    Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Kontext Wilhelmsburg
    Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

  • Kontext Wilhelmsburg
    Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Unter dem Leitbild »Wachsende Stadt mit Weitsicht« liegt Wilhelmsburg seit wenigen Jahren im Fokus der Hamburger Stadtentwicklungspolitik. Die Internationale Bauausstellung (IBA) sucht den »Sprung über die Elbe« zu initiieren. Unter den drei Leitthemen »Kosmopolis«, »Metrozonen«, und »Stadt im Klimawandel« ist Wilhelmsburg das Kerngebiet der IBA Hamburg. Es geht um die Suche nach Antworten auf die Fragen zukünftigen Bauens, Lebens und Arbeitens in der Stadt.

Für den Stadtteil bedeutet dies, dass er sich – wie kaum ein anderer in Hamburg – im Spannungsfeld von Verteilungs- und Definitionskonflikten, von Internationaler Bauausstellung und Gegenkultur, von Investorenplänen und dem Alltag eines kulturell hoch diversen Wohnstandorts befindet. Wenn aber die tatsächlichen Stärken des Stadtteils aus dem Unfertigen, Undefinierten, aus seiner Vielfalt, seinen Brüchen, seiner Langsamkeit bestehen sollten, zukünftige Entwicklungen hingegen von unterschiedlichen Einflüssen und Geschwindigkeiten geprägt sein werden, so wäre es ein Interesse der UdN, die zugrunde liegenden Wirkkräfte lesen und deuten zu lernen.

Im Projekt UdN arbeiten Studierende der HCU mit einfachsten Mitteln daran, das Gebäude für verschiedene Aktivitäten wieder in Betrieb zu nehmen. Nachhaltigkeit entsteht hier aber nicht mit und aus Dingen, sondern aus Beziehungen, aus Nachbarschaft. Wenn sich die HCU im Kontext »Nachhaltigkeit« verortet, kann es nicht darum gehen, sich ausschließlich auf die Vermittlung bekannten Wissens zu beschränken. Vielmehr geht es darum, neue Lernprozesse zu erproben, das Expertenwissen der Nachbarn einzubeziehen, um im gegenseitigen Austausch neue Ideen, Lösungen, Erkenntnisse – also mithin Wissen zu »produzieren«. Daran lernt die Universität mit ihren Studierenden, Lehrenden, Forschenden und Nachbarschaften.

Vom Experiment zur UdN

Die Idee zur UdN entwickelte sich 2008 aus den Ergebnissen des ein Jahr zuvor gemeinsam von IBA und HCU durchgeführten studentischen Wettbewerbs »Experiment auf der Insel«. Gesucht waren Impulse und Visionen, Nutzungs- und Gestaltungsideen sowie Umsetzungs- und Betriebskonzeptionen für ein mögliches Kooperationsprojekt zwischen der IBA und der HCU bis 2013. Der räumliche Fokus des Wettbewerbs lag auf dem brachliegenden Areal des ehemaligen Gesundheitsamts am Park »Rotenhäuser Feld« im Reiherstiegviertel Wilhelmsburg. 3

Die mit dem ersten Preis ausgezeichnete Arbeit »Grenzposten« macht als einzige der studentischen Arbeiten den Umgang mit dem Bestand zum Ausgangspunkt ihrer Vorgehensweise: Das Gebäude wird einer neuen Nutzung zugeführt, Altes akzeptiert, Neues hinzugefügt. »Ausgehend von der These, dass die Elbinsel sich in hohem Maße durch das direkte Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungen und Milieus auszeichnet, arbeitet der Entwurf mit dem Thema der Grenze, die sowohl für die Gestaltungssprache, als auch für die Nutzungskonzeption (Grenzsituationen entdecken, erforschen und reflektieren; Mikro-Metrozonen) maßgebend ist.« (IBA Hamburg 2008) 4

UdN – Lehr- und Forschungsprojekt Universität der Nachbarschaften

Das Konzept der Universität der Nachbarschaften leitet sich aus dem transformativen Potenzial dieser Wettbewerbsarbeit ab. Im Spannungsfeld von Universität und Nachbarschaft
soll hier ein Möglichkeitsraum entstehen, der die eigene Entwicklung in den Mittelpunkt stellt. Dabei geht es nicht alleine um die bauliche Umgestaltung eines Gebäudes, sondern vielmehr um die Frage, was die eigentlichen Anforderungen dafür sind: welche Aktivitäten sollen hier stattfinden und wie können wir diese befördern? Wer sind die Akteure, welches die Themen – im Rahmen der HCU, der IBA, des Stadtteils?

Eine Studiensituation mit realen Eingriffen in die Substanz eines Gebäudes und damit grundlegend mit dessen Nutzungsmöglichkeiten zu verknüpfen, eröffnet die Chance nicht nur Fragen der Relevanz von Ausbildungsinhalten unmittelbar an der Praxis zu diskutieren, sondern darüber hinaus auch Fragen der Berufspraxis und des Berufsverständnisses neu aufzuwerfen.

Entwurf »Grenzposten«, Erster Preis im studentischen Wettbewerb »Experiment auf der Insel«, 2008.


Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.

Kooperationen

Das Projekt Universität der Nachbarschaften ist eine Kooperation der HafenCity Universität Hamburg (HCU), der Internationalen Bauausstellung (IBA) Hamburg und Kampnagel. Es wird gefördert durch die Max Hoffmann GmbH & Co. KG.
Die UdN hat den Status eines IBA-Exzellenz-Projekts. Im Rahmen eines Lehr- und Forschungsprojekts übernehmen für die HCU Hamburg die Professuren von Christopher Dell, Bernd Kniess und Michael Koch die inhaltliche Verantwortung für die Entwicklung der Gesamtprogrammatik sowie deren Umsetzung.

Neben den lokalen Nachbarschafts-Experten wird es essentiell, zum einen Akteure zu Rate zu ziehen, die in Wilhelmsburg bereits wichtige Funktionen innehaben und mit dem Stadtteil und seiner Eigenlogik bestens vertraut sind und zum anderen solche, die sich mit aktuellen Fragen der Stadtentwicklung, in- und außerhalb Hamburgs, auseinandersetzen.

Beirat der UdN

Es wird ein Beirat eingesetzt, der den weiteren Entwicklungsprozess der UdN begleitet. Der Beirat hat beratende Funktion, insbesondere bei der Fortschreibung bzw. Umsetzung des Konzepts und dient der Qualifizierung der Projekte. Die Mitglieder des Beirats werden aus den lokalen Initiativen und Institutionen benannt. Der Beirat tagt zweimal jährlich. 5

Wilhelmsburg in Zahlen

  1. Die Universität der Nachbarschaften (UdN) ist eine Kooperation der HafenCity Universität Hamburg (HCU), der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA Hamburg) und Kampnagel.
  2. Wir standen vor der Frage, entweder abzureißen oder mit dem umzugehen, was da ist und entschieden uns eindeutig für letzteres, um aus dem Kern heraus weiter zu entwickeln, weiter zu bauen – die Transformation zu üben.
  3. Bewusst wird Altes akzeptiert und Neues hinzugefügt, wobei kontrastierende Materialien eine spannungsreiche Neuinterpretation des Ortes ergeben. Überzeugt hat auch, dass der Außenraum mit einbezogen wird, indem die neu implantierten transparenten Stirnseiten des Gebäudes als Projektionswände und damit als Außenkino genutzt werden können.

    -Auszug aus der Jury-Bewertung des Entwurfs Grenzposten
  4. Die Dokumentation Experiment auf der Insel ist als Download auf Experiment auf der Insel ist als Download auf > iba-hamburg.de unter dem Projekt Universität der Nachbarschaften zu erhalten.
  5. Über die vereinbarten Partnerschaften hinaus sollen weitere Kooperationspartner wie Schulen, soziale und kulturelle Institutionen gewonnen werden. Bei der Realisierung der baulichen Arbeiten sollen Freizeit- und Beschäftigungsinitiativen vor Ort ebenso wie Schulen und Berufsschulen einbezogen werden.