Zukunft Friedrichstadt

Unsere hier aufgeführten Fallstudien aus dem Katalog und insbesondere die über die Analyse in die Szenarien übersetzten Fallstudien befinden sich bis auf die Jugendherberge alle in der historischen Kernstadt. Beleuchten wir diese noch einmal auf ihre strukturelle Zusammensetzung, liegen die Vorteile der historischen Blockstruktur gegenüber den Einfamilienhäusern auf der Hand: Dichte, Flexibilität und Mischung der Nutzung. Wir fragen uns, welche Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Transformation dieser Typologie zugrunde liegen, die einer zukünftigen Entwicklung Friedrichstadts zuträglich sind. Bezugnehmend auf die immerwährenden Anpassungen des Gebäudebestands an die jeweiligen Anforderungen des Lebens und Arbeitens richtet sich unser Fokus auf die Potenzialitäten der vorgefundenen Typologien im Hinblick auf ihre Transformation und Gebrauchsfähigkeit. So betrachtet begreifen wir die 400 Jahre alte Stadtstruktur als Palimpsest, das im Laufe ihrer Geschichte immer wieder den jeweiligen aktuellen Bedarfen folgend angeeignet, angepasst und überschrieben wurde. In diesem rückwärts betrachteten Werden ist Zukunft bereits mehrfach beschrieben. Die Arbeit beginnt dort, wo es diese Wissensbestände offen zu legen und neu zu erschließen gilt. In diesem Sinne ist die Stadt, so wie wir sie vorfinden, erst einmal ein (Zwischen-)Ergebnis ihres Werdens, das immer auch Ergebnis von Handlungen und Entscheidungen auf den Ebenen der Politik, der Wirtschaft, aber auch des Sozialen, des alltäglichen Gebrauchs ihrer Stadtbewohner*innen ist. So verstehen wir Raum resp. Stadt weniger als ein starres, unbelebtes Objekt, sondern gehen von einem Raumverständnis aus, in dem Raum und Stadt kontinuierlich von seinen Bewohner*innen, genauso wie von und mit den Besucher*innen produziert und verhandelt wird. Geschichtlich betrachtet gilt es dabei zunächst einmal, mit den Mythen und Legenden, die sich um die gescheiterte Utopie einer angestrebten Hafenmetropole ranken, aufzuräumen. Jörn Norden hat in seiner Revision der gängigen Geschichtserzählungen über Friedrichstadt eindrucksvoll aufgezeigt, dass es Herzog Friedrich III. nicht darum ging, eine Weltstadt zu gründen; vielmehr – und das zeigt allein die in Holland herumgereichte Werbung für Friedrichstadt als neue Wahlheimat – um das Bild einer ländlichen Idylle. Friedrichstadt ist dabei aber nicht nur ein idyllisches Kleinod, das als ‚Holländerstadt‘ eine Attraktion für Tagestouristen ist; vielmehr ist Friedrichstadt, wie wir von den vielen Neu-Friedrichstädter*innen erfahren haben, eine infrastrukturell gut ausgestattete kleine Stadt, die für ihr städtisches Flair und ihre gleichzeitig überschaubare Größe wertgeschätzt wird. Wenn wir uns diese atmosphärische Beschreibung der idyllischen Kleinstadt noch einmal über Daten der Bevölkerungsdichte anschauen und dabei die beiden Siedlungstypologien der historischen Kernstadt und der Einfamilienhausstadt gegenüberstellen, werden die Potenziale noch auf einer anderen Ebene sichtbar. Obwohl die Bevölkerungszahl wenigen Schwankungen unterliegt, hat sich durch die Erschließung und Bebauung der Einfamilienhaussiedlungen die Grundfläche für Wohnen gegenüber dem historischen Kern verdreifacht. Gleichzeitig verteilen sich die knapp 2500 Einwohner*innen auf eine Fläche von circa 4 km2 und weisen damit eine Dichte von 613 Einwohner*innen je km2 auf. Wenn wir uns im Vergleich dazu die Nachbargemeinde Tönning anschauen, verteilen sich deren knapp 5000 Einwohner*innen auf insgesamt circa 44 km2 und weisen damit eine Dichte von 112 Einwohner*innen je km2 auf. Friedrichstadt mit dem alten Stadtkern wirkt städtischer, obwohl Tönning doppelt so viele Einwohner*innen hat. Daran lässt sich gut verdeutlichen, dass Maßstäbe und räumliche Maßstabsebenen Resultate gesellschaftlicher Raumproduktionsprozesse sind und keine objektiven Größen. Wie wir eine gebaute Struktur wahrnehmen, ist von sozialen Konventionen und Raumverständnissen abhängig (vgl. Belina 2018: 53). Wir vertreten die Ansicht, dass daraus wichtige Erkenntnisse für die zukünftige Entwicklung Friedrichstadts und anderer Städte abgeleitet werden können. Was diese dann im Einzelfall bedeuten, wie sie in Entwicklungsziele einfließen und welche Implikationen sie haben, kann erst in einem weiteren Schritt überlegt werden. Stellen wir diese beiden Siedlungsformen nebeneinander, wird deutlich, dass in der Altstadt verschiedene Nutzungen nebeneinander, übereinander und temporär sich überlagernd stattfinden können, dass es viel weniger privaten Grund gibt als in der Einfamilienhaussiedlung, dass nachbarschaftliche Aushandlungsprozesse viel wichtiger sind und sich erst durch das Teilen von Wänden und Höfen Möglichkeiten der Erweiterung, des Umbaus, der Anpassung und der Umnutzung an den situativen Gebrauch auftun. Für die Zukunft Friedrichstadts geht es darum, sich den Potenzialen der dichten Struktur der historischen Kernstadt bewusst zu werden und diese weiter zu entwickeln und zu intensivieren und nicht darum, weitere Flächen für Einfamilienhausstrukturen oder touristische Angebote am Stadtrand zur Verfügung zu stellen.

Friedrichstadt Utopia

Die Fragen der Zukunftsfähigkeit stellen sich an beide in Friedrichstadt vorgefundene Gebäudetypologien. Wie kann die Typologie der Blockrandbebauung in der Zukunft weiterentwickelt werden? Wie kann die Typologie des Einfamilienhauses in der Zukunft weiterentwickelt werden? Würden wir eine Weiterentwicklung in den Dimensionen, wie sie aktuell einige der Großstädte und Metropolregionen verzeichnen, in Friedrichstadt skizzieren, müsste sich die Stadt Gedanken über mögliche Nachverdichtungen machen. Dies wäre eine Nachverdichtung innerhalb der historischen Altstadt, wie wir sie bereits im Szenario auf der Ebene Haus/Block an der Quartiersentwicklung aufgeworfen haben. Aber auch Möglichkeiten der Nachverdichtungen der Einfamilienhausstrukturen entstehen. Das nachfolgend skizzierte Luftbild mit der auf die nördliche Seite der Treene gespiegelten Altstadtstruktur und die Nachverdichtungen in Teilbereichen der Einfamilienhaussiedlung im Osten der Stadt sind dabei nicht als Szenario oder gar als Plan oder Planung zu lesen, sondern als utopisches Bild. Es soll ausschließlich zur Diskussion anregen, um Fragen, die die Zukunft an die Stadt Friedrichstadt stellt, noch einmal aus einer anderen Perspektive, in einer anderen Dimension und auf einer weiteren Maßstabsebene bearbeitbar zu machen. Friedrichstadt: Was kannst du? Die Frage stellt sich in der Gegenwart über ihre Gewordenheit an die Zukunft der Stadt.

Die beiden Typologien und ihre Bewohner*innen

Blockrandbebauung
Grundfläche: 7648 qm
überbaute Fläche: 5.418 qm
Bruttogeschossfläche: 16.266 qm
GRZ: 0,7
GFZ: 2,13
Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.
Die Anzahl der Bewohner*innen im Verhältnis zur überbauten Fläche macht sowohl den damit verbundenen Flächenbereich sichtbar, als auch die im Rahmen von Aushandlungen und Prozessen verbundenen Akteure. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.
Einfamilienhaussiedlung
Grundfläche: 7552 qm
überbaute Fläche: 1.222 qm
Bruttogeschossfläche: 1.222 qm
GRZ: 0,16
GFZ: 0,16
Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.
Die Anzahl der Bewohner*innen im Verhältnis zur überbauten Fläche macht sowohl den damit verbundenen Flächenbereich sichtbar, als auch die im Rahmen von Aushandlungen und Prozessen verbundenen Akteure. Quelle: Lehr- und Forschungsprogramm Urban Design.