Hôtel, Gäste & Hôtelièrs

»We are here to design social behaviour.«
[Ton Matton]

Es sind Menschen im Haus, draußen auf der Wiese,
vor dem Haus, im Gerüst, im Dach, auf der Straße, in den Bäumen.
Es wird geforscht, gebaut, gewohnt, geprobt, gezeichnet, geredet, zugehört, getanzt,
diskutiert, geschraubt, provisorisch drapiert,
kooperiert, kreeirt, zerstört. Es gibt ein Programm:
maximale Funktionsüberlagerung.

Die Dokumentation des Sommers 2013 versteht sich als eine Momentaufnahme innerhalb des Projekts Hotel?Wilhelmsburg, aufbauend auf den Ideen, dem Gebauten und den Vorstellungen eines Hotelbetriebs in der von Studierenden, Architekt:innen und Nachbar:innen gebauten Gerüststruktur im Garten der Universität der Nachbarschaften. Das Hotel mit all seinen baulichen, programmatischen und inhaltlichen Überlegungen wurde im Laufe eines Jahres intensiv von unterschiedlichen Akteur:innen entwickelt, gebaut, immer wieder neu definiert und weiter gedacht. In diesem Kontext diente die Versuchsanordnung „Hotel” als Methode bzw. als räumliches und gedankliches Setting, um aus der Entwicklung und der tatsächlichen Umsetzung eines Hotelbetriebs Schlüsse auf das miteinander Leben zu ziehen. Wie funktioniert ein gutes Miteinander, wenn die Rückzugsorte minimal definiert sind und das Teilen (von Raum, Dingen, Ideen) in den Vordergrund rückt? Leben definiert sich in diesem Kontext, als das vor Ort sein und umschließt das gemeinsame [temporäre] Wohnen genauso wie das Arbeiten im großen Kollektiv.

Die Frage Hotel? steht mittlerweile bereits physisch im Vorgarten der UdN. Als Versuchsanordnung wird dieses Gerüst im Sommer 2013 dienen, der Frage des Wie des Zusammenlebens nachzugehen. Wir sind bauarbeitende Hoteliers, die Hotel?gäste kommen Ende August. Alle Zimmer werden belegt sein. Wir werden gut vorbereitet sein, denn wir haben gelernt mit dem Vorhandenen konstruktiv umzugehen. Wir haben gelernt, dass Settings und Projekte durch Reduktion gewinnen [Jan Holtmann] und das Probleme immer auch eine (künstlerische) Einladung darstellen. Wir werden die Gäste empfangen und sie animieren, ihre Rollen als Gäste und Gastgeber:innen immer wieder aufs Neue auszuloten. Wir werden improvisieren, miteinander arbeiten und aus den Handlungen und Praktiken Schlüsse aufs Zusammenleben, auf das eigene Arbeiten und den Ort ziehen.
»Wohnen als Praxis« als Versuchsanordnung im Hotel.

Es ist April.
Im Vorgarten der UdN steht eine sich noch im Bau befindende Hotelskulptur.
Am Ende werden in den 18 Schlafkapseln unterschiedliche Gäste beherbergt worden sein.
Sie werden die unterschiedlichen Räume des Hotels genutzt haben. Sie werden im großen Konferenzsaal miteinander gesprochen, in der Küche gekocht, im Restaurant gegessen, gearbeitet, in der Bar getanzt und getrunken, im Café diskutiert, am Esstisch Dinge geplant und beim gemeinsamen Abwasch wieder verworfen haben. Sie werden mit Materialien und Situationen improvisiert, hier gewohnt und gelebt haben...

Es ist August.
Das Hotel ist bereit Gäste aufzunehmen. Am 03. August 2013 wurde es offiziell eröffnet. Einige eingeladene Menschen haben in den Schlafkapseln genächtigt, nachdem sie am Abend auf der Terrasse der UdN zusammen gegessen, getrunken und getanzt haben. Seit der Eröffnung gibt es auch genügend Decken, Kissen und Bettzeug für die Gäste. Außerdem wurden Taschenlampen gekauft, die den Gästen im Dunkeln den Weg zu ihren Zimmern leuchten. Es gibt Handtücher, wir haben kleine Broschüren gebastelt, die das Hotel erklären versuchen. Es ist alles da.

Willkommen im Hotel!

Ein Buchungssystem gibt es nicht. Keine Sterne, keine Pagen, keine Tiefgarage. Den roten Teppich werden wir nur einmal für einen kurzen Moment ausrollen, um ihn dann schnell wieder zur Seite zu räumen, er würde nur dreckig werden auf der Baustelle. An der Rezeption vorbei durch die Lobby hin zu den hinteren Workshopräumen passieren immer wieder Menschen, um Werkzeuge, Baummaterialien, Lebensmitteleinkäufe oder Besucher:innen durchzuschleusen. Abends wandeln sich die Räume erneut. Mal zum Konferenzraum, mit Vorträgen und Diskussionen, gleichzeitig zum Restaurant mit Bar und Hotelband. Im Hotel versammeln sich forschende, bauende, wohnende, kochende, musizierende, zuhörende, gastgebende, lesende, feiernde und lehrende Personen zur selben Zeit.

Maximale Funktionsüberlagerung - Willkommen im Hotel!

Es gibt keine Werbung, kein offizielles Schild, keinen Zimmerservice, keine Schlüssel... keinen Spa Bereich.
Es gibt einen Plan, es gibt keinen Plan. Im Vorgarten der UdN steht ein Gerüst mit 18 Schlafkapseln und 21 Schlafplätzen. Im Inneren des Gebäudes steht eine Rezeption – ein aus übrig gebliebenen Holzplatten provisorisch zusammen gezimmerter und mit bedacht positionierter Holztresen. Auf einem Kappaplättchen ist eine Klingel aufgezeichnet. Hinter der Rezeption steht meistens niemand. Zwischen den aufeinander gestapelten Brettern liegen handgeschriebene Broschüren, die das Hotel erklären, daneben Taschenlampen, damit die Gäste auch im Dunkeln zu ihren „Zimmern” finden. Im Schrank neben der Rezeption stapeln sich Bettwäsche und Handtücher, die die Glastüren des Holzschranks immer wieder aufdrücken, weil jemand die Kissen nicht ordentlich reingedrückt hat, so dass sie immer wieder hervorquellen. Hotel? – dient als Frage und Behauptung, die zur Realität wird wenn ein Gast anklopft. Das Hotel ist eröffnet! Irgendwer wird schon reagieren, wird schon da sein und sich der jeweils im Moment erforderlichen Rolle annehmen.

Gäste

»In welchem Abstand zu den anderen muß ich mich halten, um mit ihnen eine Gemeinschaft ohne Entfremdung, eine Einsamkeit ohne Exil zu verwirklichen?«
[Roland Barthes: Wie zusammen leben]

Zu Gast sein und zugleich Gastgeben. Dieser Zustand wird innerhalb der UdN immer wieder aufs Neue ausgehandelt, Rollen werden getauscht – mal ist man zu Gast, mal selbst in der Position der Gastgeberin. L´hôtes, dieser französische Begriff, der Wirt und Gast zugleich meint, wird zum prägenden Konstrukt innerhalb der UdN. Und tatsächlich trifft es dieser Begriff. In der UdN gibt es nicht die eine fest zugeschriebene Rolle, sie findet sich meist intuitiv jedes mal aufs Neue.

Es kommen neue Gäste, ihnen wird erst einmal der Ort erklärt. Wo sind wir hier, was soll das hier? Das Leben und Arbeiten an der UdN wird viel über die Gastgeber:innenschaft der anwesenden Akteur:innen definiert. Wie man Neuankömmlinge hier empfängt, schlägt sich auf den gesamten Aufenthalt nieder. Gäste sind immer auch aufgefordert etwas mit beizutragen, weniger als Zwang, mehr als Einladung teilzuhaben.
Für den Empfang der Cobra-Gruppe wollen wir ganz Klischeehaft „Hotel spielen”. Ein Gepäckwagen parkt vor dem Eingang der UdN, der rote Teppich ist ausgerollt, hinter dem Rezeptionstresen – sonst meist unbesetzt – steht nun ein Page, der die Gäste empfängt und sie zu ihren „Zimmern” bringt.

Im Laufe der Zeit werden die, die eben noch Gast waren selbst den neuen Gästen jenen Ort erklären, sie werden aufräumen, fegen, bewirten und bewirtet werden.

»Der Raum ist ein Zweifel:
ich muss ihn unaufhörlich abstecken, ihn bezeichnen; er gehört niemals mir, er wird mir nie gegeben,
ich muss ihn erobern.«
[Georges Perec, Träume von Räumen 1974, S.155.]