Universität als Versuchsanordnung
Im Reiherstiegviertel im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg steht ein unscheinbares, eingeschossiges Gebäude. Ursprünglich als Ledigenheim gebaut, später als Gesundheitsamt genutzt, steht es 13 Jahre lang leer bevor die »Universität« einzieht.
Das Prinzip verstehen
Universität findet hier anders statt. Die UdN ist ein Ort, der, wenn man ihn verstanden hat, beflügeln kann und Potenziale weckt, die erst hier sichtbar, aufgedeckt werden. Oft als Möglichkeitsraum beschrieben, lernt man hier tatsächlich Möglichkeiten auszutesten. Das Soziale zu entwerfen, das Ästhetische kommt von allein. Urban Design, an diesem Ort findet der Name des Masterstudiengangs einmal mehr seine Berechtigung und seinen Sinn. Es geht um die Stadt, um die Menschen, die dort leben, um ihre Praktiken im Alltag. Es geht ums Entwerfen, weniger an ästhetische Objekte geknüpft, sondern an Situationen. Der Künstler und Stadtplaner Ton Matton hatte während einer der ersten Workshops des Hotelprojekts gesagt »we are here to design social behaviour«. Der Raum, der einem hier geboten bewirkt dies mit. Angefangen bei den Studierenden, die quasi gezwungenermaßen hierher kommen, die Einen wissen es zu schätzen und gehen garnicht mehr weg. Andere wiederum sind schlicht irritiert und verstehen nichts mit ihm (dem Ort) anzufangen. Für die, die bleiben wird die Uhr fortan anders ticken. Die Tage werden länger dauern. Man ist produktiv und zugleich lässt man sich gerne ablenken von dem wirren Treiben rundherum, man weiß schließlich nie wer als nächstes durch die offene Eingangstür herein kommen wird. Man kommt ins Gespräch. Mit Nachbarn, bei denen man sich Dinge ausleiht, die man für Forschungsprojekte befragt oder die man sowieso trifft, weil man eben vor Ort ist. Die zufälligen Begegnungen sind es, die den Ort und das Handeln prägen. Improvisieren, Reagieren, mit Situationen umgehen. Man spricht mit Besucher:innen, Professor:innen, Gästen, Kindern und Jugendlichen. Es wird diskutiert, gestritten, gelacht, gekocht, gebaut Die gängigen Messparameter von Credit Points und Workload sind hier kaum messbar. Alle überarbeiten sich, es ist ein durchgängiges Try and Error. Die ständige Sichtbarkeit des eigenen Arbeitens vor Ort gibt einem den aktivierenden Schubs. Auf den ersten Blick erscheint dieser Ort unhierarchisch. Klar gibt es vor Ort Menschen, die mehr Erfahrung haben, weil sie schon länger da sind, die meisten sind aber hilfsbereit und verstehen ihre Rollen mehr als ein Mentoring und den Neuen zu zeigen wie Dinge funktionieren. Das der Lehrstuhl allerdings doch eine tragende und auch autoritäre Rolle hat bekommt man dann doch hin und wieder sanft zu spüren. Wir können nicht einfach tun was wir wollen und das ist auch gut so, schließlich ist es dann doch irgendwie auch Universität. Es geht mehr darum die vielen Freiräume und Möglichkeiten produktiv zu nutzen, im Sinne der Idee der UdN: offene Prozesse, sich auch mal zurücknehmen, schauen was passiert, nicht vorgefertigt denken, nichts planen, eher bestimmte Hebel drücken…abwarten, erneut codieren, neu denken, analysieren, aufschreiben, dokumentieren...
Was man hier (fürs Leben) lernt kann in keinem Curriculum feststehen, denn es ist so vielseitig und oftmals unerwartet, das es aufzuschreiben kaum möglich ist. Es sind oft die alltäglichen und vermeintlich banalen Dinge, die diesen Ort ausmachen. Das Unerwartete wird uns auch stets durch unser Projekt begleiten.
Im April 2013 wissen wir noch nicht, dass wir letztendlich das Hotel zum Laufen bringen werden. Nicht so wie wir es uns zu Beginn vorstellen, dafür denken anfangs noch in mehr klassischen Strukturen und Kontexten. Aber es wird ein toller Sommer, der viele neue Akteur:innen an den Ort bringen wird, die ihn weiter mitkonzipieren und weiter öffnen werden. Das wir bereits intuitiv von Anfang an damit umzugehen wissen, wird uns erst im Nachhinein bewusst werden.
Einzug ins »Hotel?«
Von Altona aus fahre ich mit dem Fahrrad auf die südliche Elbseite. Durch das Freihafengebiet hindurch, an den Kränen und Lagerhallen vorbei, über die Argentinienbrücke und am Wasser entlang. Schafe grasen auf dem Deich an der Schleuse. Auf einmal wieder – Stadt. Durch das gründerzeitliche Reiherstiegviertel führt mich der Weg vorbei am Energiebunker in einen Park. Am Ende des Parks auf einmal ein riesiger Baum mit einer Art Vogelnest- Skulptur aus alten Feuerwehrschläuchen, drinnen im Haus sitzen Studierende und arbeiten an ihren Laptops. Es ist Sommer, in zwei Monaten werde ich selbst mein Studium an der HafenCity Universität beginnen und an diesem Ort lernen dürfen. Mit dem ersten Aufenthalt wächst mein Interesse für dieses Haus. Was ist das hier eigentlich und wie funktioniert das? Es nennt sich Universität und gleichzeitig leben hier Menschen, kochen und essen zusammen, bauen und forschen. Ich möchte Teil davon sein und fühle mich eingeladen. Ich habe einen Ort gefunden, der sich mir räumlich und inhaltlich fast schon aufdrängt ihn mitzugestalten. In der UdN darf man ausprobieren. Ein rohes Haus, das Chaos, Dreck und viele Menschen ertragen kann ohne dabei an Glanz zu verlieren. Eine Anlaufstelle und Ausgangspunkt mit unendlichen Möglichkeiten. Es dauert noch einige Wochen bis ich das Gefühl habe mich einmischen zu dürfen und meine Ideen zusammen mit der Hotelprojektgruppe, mit der ich fortan hauptsächlich in der UdN arbeiten werde, einzubringen.
Einige Monate der Forschung, Praxis der Präsentationen, Veranstaltungen, Feste und Übernachtungen später entscheide ich, dass auch ich hier leben möchte. Im Laufe der Zeit sehe ich Menschen kommen und gehen, einziehen und ausziehen. Am Anfang noch verwundert darüber, was denn nun wen wie dazu privilegiert hier zu wohnen finde ich irgendwann raus, dass es in der Hinsicht keine klaren Regeln zu geben scheint. Ein Ort, der Universität und zu Hause sein kann, wo je nach Tageszeit unterschiedliche Menschen zusammenkommen, die alle ihren jeweiligen Aufgaben nachgehen, diese Art »Internat«, da will ich auch sein. Die Utopie. Also frage ich nach ob ich für die Sommerzeit mit einziehen dürfte und bekomme sofort ein Ja zur Antwort. Einen Sommer hier verbringen, bevor das Haus abgerissen wird, diese letzte Zeit will ich hier verbringen und ziehe Ende Mai in die UdN ein. Als Gast im Hotel?.
Mein Zimmer am Ende des langen Korridors erscheint mir riesig. Ich werde es mir immer wieder teilen müssen, mal nur mit einer zusätzlichen Person, mal mit sechs weiteren Übernachtungsgästen, so ist der Deal.
Für meinen Einzug bringe ich eine Nachttischlampe, eine Garderobenstange, einen Vorhang und einen Teppich mit. In der UdN finde ich außerdem einen Schlitten, den ich als Nachttisch nutzen werde, ich schlafe in einem der vielen Stapelbetten, aus ein paar Holzbrettern und Ziegelsteinen baue ich mir ein kleines Regal. In der umliegenden Nachbarschaft werden Schulen saniert. Abends fahren wir mit den Fahrrädern durch das Viertel und entdecken immer wieder Sperrmüllhaufen mit alten Schultischen, Stühlen und Regalen. Nun habe ich auch einen Tisch, außerdem finden wir einen Diaprojektor. Es sammeln sich immer neue Gegenstände an und es wird langsam richtig wohnlich.
Es ist mittlerweile Oktober. Nach knapp vier Monaten des Zimmerteilens sehne ich mich nach mehr Privatheit. Die Vorlesungszeit beginnt, aber es wird trotzdem ruhiger in der UdN. Aus meinem alten WG Zimmer in Altona hole ich weitere Möbel: mein eigenes Bett, mehr Lampen, meine Winterkleidung, den Plattenspieler. Im März 2014 werde ich mit den anderen UdN Bewohner:innen dieses Haus verlassen müssen, im April wird es abgerissen.
Beim Spaziergang durchs Rotenhäuser Feld
Bei einem Spaziergang durch das Rotenhäuser Feld kam ich im Winter 2011 an dem Gebäude vorbei, welches sich mir ein Jahr später als Universität der Nachbarschaften vorstellen sollte. Bei meiner ersten Begegnung mit dem Haus und seiner direkten Umgebung fragte ich mich schon was dort wohl stattfände, fühlte mich aber auch nicht eingeladen, das Grundstück zu betreten. Auch wenn das Eingangsschild einen dazu aufforderte. Zu klein zu fein dieser Aufruf um mir ins Auge zu fallen. Mit seinen verrammelten Fenstern und seinem verwildert wirkenden Garten, hatte ich keine Vorstellung davon was sich in dem Gebäude oder außerhalb abspielen könnte. Stand dieser Raum offen oder war er privat? Mir wurde das nicht klar und so ging ich mehrere Male am Gebäude vorbei, bis ich es zum ersten Mal im Urban Design Studium betrat.
Von Innen gab der Raum eine ganz andere Atmosphäre preis.
Mit seinem einerseits verfallenen Charme der letzten 15 Jahre und seinen feinen Eingriffen, die das Haus zu einem besonderen Raum der Möglichkeiten machten, wenn man erstmal die Hürde des Eintretens genommen hat.
Dann sind die Hierarchien nicht klar, aber das macht nichts, man probiert sich aus. Selten ist man in der UdN ungestört, aber auch nie wird einem langweilig. Sehr häufig kommt es zu einem Austausch von Gedanken und nicht selten mit Menschen die man vorher nicht kannte. Durch den speziellen Charakter des Hauses kam es zu vielen Begegnungen voller Ideen, ganz leichten und oft flüchtigen Gedanken und trotzdem wirkt es nach. Wenn ich jetzt am leeren Grundstück entlang spaziere, sehe ich die vielen tollen Erlebnisse, Ideen und Kontakte und nicht nur ein verwildertes Stück Land. Ohne dieses Konzept wäre für mich Urban Design ein anderer Studiengang geworden.
Wohnen in der UdN
Wohnen in der Universität der Nachbarschaften heißt: Räume teilen, Situationen immer wieder aufs Neue aushandeln müssen, gemeinsam (in der großen Gruppe) arbeiten und leben. Gäste empfangen, selbst zu Gast sein, wenn andere den Ort für sich nutzen, aufräumen, erklären, Führungen machen, vor Ort sein, immer ansprechbar sein, auch wenn man sich zurückziehen möchte, sich auch zurückziehen können, bauen, waschen, kochen, reden, trinken, zuhören, Pflanzen gießen, Kinder vom Hotelgerüst verscheuchen und Tennagern das Rauchen im Dach verbieten, Möbel finden und anschleppen, seine Daseinsberechtigung ständig hinterfragen, sich versuchen einzubringen, seinen Platz finden, nur zwei Monate bleiben zu wollen und dann nicht zu gehen.
Settings
»Also ihr seid die Ersten: Ihr könnt fast machen was ihr wollt. Es muss nur eine Hotel-form haben. Ihr könnt nichts falsch machen: Ihr setzt die Maßstäbe und ihr macht das so, wie ihr denkt, dass ihr da was hinkriegt. Querschüsse, Einwürfe und Ballast der nicht zum Hotel führt schmeißt ihr ab! Es geht nur darum einen Anfang zu machen.«
[Jan Holtmann]
Tauschen als Praxis: Wir nehmen uns erstmal einem Hotelzimmer an. Die so genannte „italienische Villa” befindet sich im Erdgeschoss des Hotels. Das Zimmer hat zwei Fenster in der einen Ecke von denen aus man auf den kleinen Platz zwischen der Gerüststruktur und auf den Eingang der UdN schauen kann. Den Namen hat es seiner italienischen Erbauer:innen zu verdanken, die im März 2013 das etwa 2,5 qm große Zimmer aus altem Turnhallenboden gezimmert haben. Hier können bequem zwei Personen auf einem um die Ecke gebauten Podest nächtigen. Betreten wird das Zimmer, im Unterschied zu den restlichen Schlafkapseln, durch eine richtige Tür. Ein in der Hälfte durchgesägter Stuhl ist in eine der Wände eingelassen und dient als Ablage. Wir überlegen uns, dass wir das Zimmer nicht alleine weiter ausbauen wollen, sondern externe Akteur:innen mit einbeziehen wollen, die dieses Zimmer mitgestalten und wenn sie möchten (quasi im Gegenzug) hier auch nächtigen oder es als ausgelagertes Gästezimmer nutzen können. Wir überlegen uns was dem Hotelzimmer noch fehlt, bevor wir hier Gäste empfangen können, wir streichen Wände und dichten es provisorisch mit einer Draht-Flaschen-Konstruktion ab. Wir zeigen es Arne, einem Nachbarn, der bereits seit längerer Zeit zu Gast in der UdN ist und in unterschiedlichen Kontexten hilfreich war. Er leiht uns seine Industrienähmaschine, die wir später zum Nähen der Segelplaneneingänge der weiteren Schlafkapseln benötigen werden und schlägt uns einen Bekannten vor, der uns beim weiteren Bauen behilflich sein könnte. Wir treffen uns mit seinem Bekannten Tarek, der zunächst begeistert von unserem Vorhaben und von dem bereits Gebauten ist, uns zusagt beim weiteren Ausbau behilflich zu sein und sich aber nie zurückmelden wird. Schnell wird uns klar, dass die Idee mit dem Tauschen und dem Einbezug weiterer Akteur:innen gar nicht so leicht ist und uns die Zeit davon läuft.
Diesem Ort, der UdN, den wir wie so viele hier als Möglichkeitsraum nutzen, erweitern und der Hotelskulptur vor der Tür Leben einhauchen mit eben den Mitteln die uns zur Verfügung stehen, materiell wie ideell: »Tauschen als Praxis« ist eine der ersten Überlegungen, wie wir glauben den Gedanken des Hotels in den Stadtteil tragen zu können, damit sich hoffentlich weitere lokale Akteur:innen in den Prozess einmischen. Noch wissen wir nicht genau wo uns der Weg hinführen wird. Im Nachhinein betrachtet verstehen wir, was es bedeutet prozess offen zu arbeiten und dass man in gewisser Hinsicht auf das Ungeplante vertrauen kann. In der UdN kommt eh nichts wie man es sich vorher überlegt.
Einrichten eines Zimmers
Wir haben eine vage Idee, was ein Hotelzimmer beinhalten sollte, womit es ausgestattet sein könnte. Was braucht es minimal um zu funktionieren und was bedeutet Luxus?
Wir bauen die Hotelskulptur aus und weiter, mit dem Baumhaus Workshop kommen Kinder mit ins Spiel, ihre Ideen und Fertigkeiten bauen das Hotel wieder ein Stück weiter. Es entstehen zwei Hotelzimmer. Wir streichen Wände und dichten eins der Zimmer provisorisch mit einer Draht-
Flaschen-Konstruktion ab.
Die Bauworkshops bauen parallel weiter – es entsteht eine Bar, ein Badezimmer, immer mehr essentielle Bedürfnisse werden erfüllt. Die Zimmer nehmen Gestalt an, jedes hat einen anderen Charakter.
Im Laufe der Zeit verschiebt sich der Fokus. Angefangen hatten wir mit der Idee ein Zimmer auszubauen, fertig. Nun überlegen wir wie ein tatsächlicher Betrieb des Hotels funktionieren könnte. Wir treffen uns mit dem Künstler Jan Holtmann, der bereits im vorangegangenen Semester dem Hotelprojekt beratend zur Seite stand. Jan betreibt (mittlerweile ist es geschlossen) den »artist room« - ein Künstlerhotel im Hamburger Schanzenviertel mit 4 Zimmern und ca. 10 Schlafplätzen, das ohne die ständige Anwesenheit einer sich kümmernden Person funktioniert. Mit Jan besprechen wir unterschiedliche Programmideen für das Hotel, das noch garnicht weiß was es ist und wer die Gäste sein werden. Jan ermutigt uns darin einfach auszuprobieren und rumzuspinnen.
»Also ihr seid die Ersten: Ihr könnt fast machen was ihr wollt. Es muss nur eine Hotel-form haben. Ihr könnt nichts falsch machen: Ihr setzt die Masstäbe und ihr macht das so, wie ihr denkt, dass ihr da was hinkriegt. Querschüsse, Einwürfe und Ballast der nicht zum Hotel führt schmeißt ihr ab! Es geht nur darum einen Anfang zu machen.« Wir skizzieren unterschiedliche Programme, wie das Hotel funktionieren könnte: »hotel langweilig«, »camping«, »automaten hotel«...Die Bezeichnung Programm hilft, weil diese sich noch im Bau befindende »Kiste« noch ganz unterschiedlich programmiert werden kann. Alles ist offen. Das Hotel muss mit einem Mangel entwickelt werden, ein echter Hotelbetrieb ist nicht zu leisten und auch nicht reizvoll. »Projekte gewinnen durch Reduktion«, sagt Jan uns immer wieder. Lasst etwas weg damit es spannend wird: »In den guten Restaurants sind die Portionen zu klein, Kunst darf man nicht anfassen...« Im Hotel? Was ist die einfachste Definition von »Hotel«?
Settings schaffen
Ein Setting oder ein Rahmen bietet die UdN räumlich wie auch ideel. Der Raum gibt uns zu verstehen wie er genutzt werden will und gleichzeitig bestimmen wir die Handlungen darin frei. Hier gibt es Platz, für viele Dinge und Ideen, die sich aus den vorangegangenen Projekten und baulichen Erweiterungen weiterspinnen lassen.
Wir beginnen mit einem Cafébetrieb auf der Terrasse der UdN. Im Frühling ist hier im Rahmen der Bau Workshops eine Terrasse aus alten Ziegelsteinen entstanden. Nun lässt sich die Parkseite noch mehr nutzen als zuvor. Menschen, die im Park spazieren gehen, fühlen sich eingeladen hier zu verweilen. Im Park stehen außerdem drei große, längliche Gemüsekisten. Hier wachsen Erdbeeren neben Mangold, Zucchinis, Salat und Blumen. Beim Gießen der Pflanzen kommen wir mit den Leuten ins Gespräch.
Es ist Sommer und die Internationale Bauausstellung spült immer wieder Gruppen von interessierten Besucher:innen in die UdN. Wir überlegen uns, dass sich ein Cafébetrieb lohnen könnte. Jeden Sonntag öffnen wir die großen Fenster, heben sie aus ihren Rahmen und servieren selbstgebackenen Kuchen und Kaffee gegen eine kleine Spende. Zwei Kommiliton:innen schreiben gerade ihre Masterthesis und nutzen dieses Setting um räumliche Situationen zu analysieren. Wir hingegen testen eine Behauptung aus: Café, das funktioniert an der UdN auch ohne professionelle Kaffeemaschine, Werbung oder Konzession.
Alles ist schon da. Das Hotel ist gebaut, es fehlen noch die Gäste. Was wir im Kleinen mit Hilfe des Cafés realisieren, lässt sich auch auf einen größeren Maßstab übertragen. Wir bekommen die Möglichkeit Projekte zu entwickeln, dabei prozessoffen arbeiten zu dürfen ohne dabei auf Wirtschaftlichkeit oder Erfolg achten zu müssen. Ein Luxus.
Der Deckmantel »Universität« schützt und liefert uns gleichzeitig den Rahmen Dinge auszuprobieren. Abgesehen von den ideellen Bedingungen, ist es auch der scheinbar unerschöpfliche Materialfundus, der uns hier die Realisierung von unterschiedlichen Settings ermöglicht.
Unser Setting lautet also »Hotel?«: Wir haben genügend Zimmer und Bettzeug zur Verfügung, es gibt sanitäre Anlagen, eine Küche, eine Bar.
»In aller Regel bringen Heterotopien an ein und demselben Ort mehrere Räume zusammen, die eigentlich unvereinbar sind.«
[Michel Foucault: Die Heterotopien, S.12-13]
Die Versuchsanordnung UdN/Hotel
Da steht eine gebaute Heterotopie im Garten. Ein Ort mit einem eigenen Regelsystem. Michel Foucault beschreibt Heterotopien als Gegenräume der echten Welt, also Orte, die von dem was die Gesellschaft als normal bezeichnet abweichen. Als Beispiel nennt er unter anderem das Altenheim, »denn in einer so beschäftigten Gesellschaft wie der unsrigen ist Nichtstun fast schon abweichendes Verhalten. Eine Abweichung, die als biologisch bedingt gelten muss, wenn sie dem Alter geschuldet ist, und dann ist sie tatsächlich eine Konstante, zumindest für alle, die nicht den Anstand besitzen, in den ersten drei Wochen nach der Pensionierung an einem Herzinfarkt zu sterben.« [Foucault: Die Heterotopien, S.12-13]
Wenn wir die UdN und die verschiedenen Programme, die in ihr alltäglich ablaufen betrachten (Wohnen, Forschen, Lehren, Bauen, Lernen, Feiern, Kochen, Leben, Kommen, Gehen, Tanzen, Schreiben, Hämmern, zu Gast sein, Gastgeben) so erscheint die Erweiterung der UdN in Form einer Hotelskulptur als eine Überspitzung dessen was eh schon da ist. »In aller Regel bringen Heterotopien an ein und demselben Ort mehrere Räume zusammen, die eigentlich unvereinbar sind.« schreibt Foucault 1984. In diesem Kontext verstehen wir auch die Funktions- und Programmüberlagerung in der UdN. Nicht nur die Räume, auch wir die Akteur:innen selbst sind einer ständigen Überlagerung ausgesetzt. Wir haben nicht die eine Rolle, wir spielen gleich mehrere. Wir sind nicht bloß Studierende, je nach Projekt, Setting, Auftrag schlüpfen wir in neue Rollen, mal aktiv, mal passiv. Wir lernen zu improvisieren und mit Situationen umzugehen. »Der gegenwärtige Raum definiert sich als ein Netz aus Lagerungsbeziehungen.« [Foucault, Andere Räume].
In der UdN vermischen sich Privatheit, Gemeinschaft, Exil und Öffentlichkeit zur selben Zeit.
Die UdN wird als Möglichkeitsraum für unterschiedliche Settings genutzt. Sie bietet Räume und Infrastruktur, die individuell von den Studierenden genutzt werden können.