Log 3

Autor:
Benjamin Becker

Nach dem Auszug aus dem
UdN-Bautagebuch vom 07.05.2010

Protokollant: N. Krützmann
Temperatur: 8°C / Wetter: regnerisch, grau
Bauteam: Meret, Silvan, Michael, Natalie
Eingesetzte Maschinen: Akkuschrauber, Hammer, Stemmeisen, Schraubendreher
Ausgeführte Arbeiten: Küche mit Arbeitsplatte (2), Herde (2), Waschbecken (4), Durchlauferhitzer (3), Laminat (32qm), Badezimmer-Amaturen (4), Heizlüfter (3), Fenstergitter (2), Türgitter (1), Schiebtüren (2), Klingeln (2), Klingelknöpfe (5), Küchenspülen mit Wasserhahn (2) ausgebaut. (Fertigst: erfolgt)
Baustoffe: Holz, Keramik, Plastik, Eisen, Metall
Bemerkungen: Spontaner, ungeplanter Ausbau der Möbel etc. (auf Baustelle in der Rotenbaumchaussee). Ekeliges, schimmel-durchwachsenes Haus mit interessantem Pilzbewuchs.

Harvesting

Eine wesentliche Charakteristik der UdN-Baustelle ist, dass sie sich im Sinne des Gesamtprojektes UdN dem Low-Budget-Prinzip verschrieben hat. Es gilt: Was immer du baust, verbaust, einbaust, versuche idealerweise mit anderenorts kostenlos ausgebauten und somit wiederverwendeten Baumaterialien zu arbeiten. Ist dies nicht möglich, versuche Materialien von Bauunternehmen oder dem Baustoffhandel gesponsert zu bekommen. Erst wenn alle diese Quellen erfolglos ausgelotet sind, darfst Du mit dem UdN-Bus zu einem Baumarkt fahren und auf VOL-Schein einkaufen.
Dies erlaubt nicht nur ein kostengünstiges Bauen, sondern auch den Prozess der Gestaltfindung sehr lange offen zu halten und schafft Situationen und Möglichkeiten für Improvisation. Oft werden im Rahmen sogenannter Harvesting-Touren spontane Schätze geborgen, die dann unmittelbar nach Auffindung in den laufenden Bauprozess integriert werden.

Kurzfristig oder zufällig aufgetriebene Schaltafeln werden postwendend zu Repliken klassischen Möbeldesigns weiterverarbeitet, Turnhallenfußböden aus hochwertigem Eichenparkett veredeln das UdN-Studio oder finden beim Innenausbau von Schlafkapseln im Hotel? Wilhelmsburg eine neue Bestimmung. Großformatige Transport-Boxen für Straßenlampen tauchen an den unwahrscheinlichsten Stellen wieder auf: als Brücke ins Dachgeschoss, als Bettkasten, als Wasserrutsche oder als Hochbeet im UdN-Küchengarten.

Eine ergiebige Harvesting-Tour mit großer Ausbeute ist nach UdN-Baustellenstandards eine Art Volltreffer und löst bei allen Beteiligten Glücksgefühle aus, als fielen Ostern und Weihnachten auf den gleichen Tag. Sie ist aber auch immer ein Abenteuer, man weiß nie genau, was einen hinter den toten Fenstern der Abbruchhäuser erwartet. Psychedelische Tapetenorgien, der Kampf mit dem Schimmel oder das Wettrennen mit dem Asbestsanierungsteam der Abbruchfirma.

Und dann ist da das grenzenlose Erstaunen, über eine Gesellschaft, die einfach alles wegwirft. LKW-Ladungen voll neuwertigen Span-, OSB-, oder Schichtholzplatten – die hochwertigen Überreste einer Unzahl Präsentationsstände nach nur lächerlichen fünf Tagen Einsatz auf der Hamburger Messe. Oder eine ganze Wohnzeile voll Einbauküchen samt intakten Spülen, Herden und Kühlschränken in einer Abbruchmaßnahme in der Rotenbaumchaussee. In einer der Küchen finden wir einen nagelneuen, unbenutzten Bosch-Elektroherd, die ungelesene Bedienungsanleitung noch eingeschweißt hinter der Backofenklappe.