Intro
Nicht nur Menschen, es sind auch die Dinge, die in die Handlungsabläufe und Ereignisse in und um die Universität der Nachbarschaften verwickelt sind.
Von diesen Verquickungen und den sich daraus immer wieder neu eröffnenden Handlungsoptionen erzählt das Büchlein in seinen Momentaufnahmen. Es beschreibt die Phase einer suchenden Vorwärtsbewegung, in der das Projekt seine eigene Entwicklung zum Gegenstand nimmt und versammelt die Stimmen und Stimmungen derer, die es in ihren Interaktionen schließlich hervorgebracht haben. Die Abfolge der Erzählungen orientiert sich nicht wesentlich an der Chronologie der Ereignisse, vielmehr an den Möglichkeiten neuer Verbindungen, wie sie sich aus der iterativen Bewegung erst eröffneten. So handeln die kurzen Erzählungen von nichts anderem als von den Menschen und Dingen und dem, was aus ihrem Zusammenwirken entsteht und wie man es für Gestaltungsprozesse nutzbar machen kann. Die hier abgebildete Reihenfolge ist insofern eine mögliche Anordnung eines sich ständig neu justierenden Prozesses.
Es mussten formelle Regelungen getroffen werden, bevor das „Vor-Ort-Sein“ der AkteurInnen überhaupt möglich war. Von langer Hand vorbereitet und in mühevoller praktischer Aneignung erarbeitet, wird kann die Eröffnung des Projekts schließlich im Sommer 2009 feierlich begangen werden. Der Kooperationspartner Kampnagel schickt die Wiener Performance-Gang God‘s Entertainment ins Haus, die mit ihrer Interpretation von Cronenbergs „Shivers“ ihr Unwesen treiben und, erstmals seit dem Verlassen des Gesundheitsamtes vor 13 Jahren, das ganze Haus in Beschlag nehmen. Niemand kann zu diesem Zeitpunkt ahnen, welche Bedeutung die unterschiedlichen Handlungen für die zukünftige Entwicklung des Projektes haben würde.
Die AkteurInnen müssen sich zunächst orientieren – eine Bedienungsanleitung gibt es nicht. Sie überwinden ihre Angst und machen erste Erfahrungen im Feld ("I am waiting for") oder im theoretischen Raum (“UdN- eine Korrelationsmaschine zur Herstellung von Zukunft“). Das Motiv des „Ankommens“ und der Begegnung mit dem Projekt und seinen Akteuren ist Gegenstand der ersten Erzählungen (“Arrival to Wilhelmsburg“). Eine UdN-Bewohnerin berichtet über ihre Erfahrungen mit BesucherInnen, die das IBA-Projekt erkunden möchten ("Sonntagmorgen") und wie das Projekt auch den kritischen Blicken der ElbinselbewohnerInnen ausgesetzt ist ("In der Nachbarschaft der UdN").
Dinge kommen zum Einsatz. Angeschafft, um bei den unterschiedlichen Tätigkeiten nützlich zu sein, scheinen sie jedoch schnell ein Eigenleben zu entwickeln indem sie im Gebrauch ihre Potentialitäten preisgeben. Der orangene VW-Bulli etwa, der mit seiner Aufschrift „LUFTAUFSICHT“ und der orangenen Rundumkennleuchte auf dem Dach zwar seine vorige Bestimmung bezeichnet, nichts aber über seine tatsächliche Nutzung preisgibt, wird angeschafft, um Baumaterialen zu transportieren. Bald wird er auch zur Personenbeförderung eingesetzt, etwa um Gäste am Busbahnhof in Empfang zu nehmen. Wie sich das Gefährt zum mobilen Außenposten der UdN entwickelt, entnehmen wir der Beschreibung eines Workshopteilnehmers aus Venedig ("Arrival to Wilhelmsburg") genauso wie der Erzählung der Praktikantin, die aus Bosnien gekommen war, um dann zu bleiben. ("Ich und die UdN"). Insbesondere in den Hochphasen der Bauworkshops leistete das Gefährt gute Dienste ("3x International Summer School") wobei seine intensive Nutzung sicher auch dazu beiträgt, dass er nicht bis zum Abschluss des Projektes durchhält. Sein Nachfolger ist gelb und innen teilweise grün.
Die Motive zur „Aneignung“ der UdN und deren näherer Umgebung sind aus Sicht einiger Nachbarn praktischer Natur, da sie die Terrasse vor der UdN als Grillplattform nutzen ("Mittwochnachmittag in der Küche") und für einige Studierende und BewohnerInnen der UdN ist eben diese eine willkommene Erweiterung der UdN, um SpaziergängerInnen zu Kaffee und Kuchen in die UdN einzuladen ("Sonntags = Café"). Die baulichen Erweiterungen der UdN bedingen neue Nutzungen und umgekehrt. Der Bauprozess in der UdN und dessen Praktik schildern die Akteure aus unterschiedlichen Perspektiven. ("Ein guter Preis","Hang on!", "Log3", "Up-Cycling"). Der Abriss der UdN liegt noch in weiter Ferne als nicht nur die Workshop Gäste, sondern gleich eine Universität versucht anzukommen: “Könnten wir uns baumeln lassen zwischen Konzept und Fest, in der Konstruktion der Nachbarschaft” ("Nero und die Mobiltelefone") schreibt sehnsuchtsvoll Pascal Grange, ein Gast des UdN Studios.
Abgesehen von den eigenen Tätigkeiten wird das „Arbeiten“ in Wilhelmsburg in einem Filmseminar dokumentiert ("Arbeitswelten") und ist ebenfalls Gegenstand eines von Studierenden initiierten Workshops ("Made in...Lokale Praktiken urbaner Produktion, Speisekammer"). In diesem Workshop haben die Teilnehmer*innen zusammengearbeitet, gekocht und in der UdN übernachtet.
Das „Wohnen“ in der UdN wird immer wieder neu verhandelt und die Frage des „Wie und Wo“ stellt sich bereits mit der Planung der ersten Summer School 2009 ("3x International Summer School"). Es wird schließlich nicht nur in der UdN gewohnt ("Piraten Garten", "Eine Tischtennisplatte"), auch die Nachbarschaft wird in den Seminaren ("Weiterwohnen") oder spontan bei einem Besuch erforscht ("Nachbar's Keller").
Im Rahmen der Workshops überlagern sich die unterschiedlichen Aktivitäten, hier wird zusammen gewohnt, gekocht, gearbeitet, gebaut, sich angeeignet, ausgehandelt, gefeiert .... ("Early Career Lab", "Cairo Urban Transformation", "Urban Metamorphoses", "Kürzlich in der UdN", "mal kucken", "InnerRise - in my room"). Die Seminar- und WorkshopteilnehmerInnen schwärmen aus und suchen selbst die Erzählungen in der Nachbarschaft, die sie wieder in die UdN tragen ("Ganz großes Kino"). Kann eine Universität „ganz großes Kino“ sein und somit auf dem Sprung zu einer Idee, was Universität noch sein kann? Diesen Ausblick wagen die drei letzten Beiträge ("Eine Universität auf dem Sprung", "HCU, UdN, UdM, UdZ? Notizen oder eine kleine Hommage", "When the university is moving").
Und während sich die Studio-Gäste und Kinder aus der Nachbarschaft noch baumeln lassen zwischen Konzept und Fest, basteln die unermüdlichen AkteurInnen in immer neuen Konstellationen weiter an der Idee des Zusammenlebens, theoretisch im Rahmen von ungezählten Seminar und Projektarbeiten und ganz konkret – hands on – aus dem ehemaligen IBA Werbegerüst das Hotel?Wilhelmsburg. Das aber ist eine andere Geschichte